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Kapitel 1


Kindheit und Erziehung

Im Jahre 1957 wurde ich in ein neuapostolisches Elternhaus hinein geboren. Schon bei der Geburt zeigte sich Gottes Bewahrung und Gnade im besonderen Maße. Mir wurde später von meiner Mutter berichtet, dass ich wohl ganze drei Tage und Nächte benötigte, um „das Licht dieser Welt zu erblicken“. Letztlich half man dann mit der Geburtszange nach. Schon damals zeigte sich, dass mein Leben wohl nicht ganz einfach und unbeschwert verlaufen würde.

Zunächst möchte ich ganz kurz erklären, was ein neuapostolisches Elternhaus ist. Meine Eltern sind Christen und Gemeindemitglieder, die der Neuapostolischen Kirche angehören. Diese Kirche ist in Deutschland mit über 360.000 Gläubigen die viertgrößte Religionsgemeinschaft und weltweit mit ca. 10,15 Millionen Mitgliedern eine recht große Kirchengemeinschaft. Was es im Einzelnen damit auf sich hat, dazu in diesem Buch später mehr.

Mit dem vierten Lebensjahr potenzierten sich die Schwierigkeiten und ich erkrankte recht plötzlich an chronischem „Asthma Bronchiale“. Dabei handelt es sich eine krankhafte Verengung der kleinen und feinen Bronchialästchen in der Lunge. Das führt in kontraktionsmäßigen Intervallen zu großer Atemnot bis hin zum Ersticken. Als Kleinkind war das bei mir sehr schlimm. Eines Nachts, kurz vor Weihnachten, es war schwerer Schneefall, ja Sturm, hatte ich einen derart schweren Asthmaanfall, dass ich drohte, an einem 4 cm großen Schleimball, der sich bei dem Anfall in meinen Bronchien gebildet hatte, zu ersticken. Mein Vater rief sofort den zuständigen Kinderarzt an, der sich dann mitten in der Nacht durch den schweren Schneesturm aufmachen musste, ein kleines Kind vor dem Ersticken zu retten. Was dies bei den damaligen Witterungsbedingungen bedeutete, wissen wohl am ehesten die älteren Leser, die sich an die heftigen Winter der frühen sechziger Jahre sicherlich noch gut erinnern können. Wie dem auch sei: Gott sei Dank habe ich an diese Nacht nur noch schemenhafte Erinnerungen. Ich weiß aber noch, dass der Kinderarzt mir eine Spritze gab, die furchtbar schmerzte, und dass ich Zäpfchen verschrieben bekommen habe. Nach der Spritze löste sich der Schleim und ich konnte meiner Mutter den riesigen Schleim-Ball in die Hand spucken. Meine Eltern werden das sicher nie vergessen. In dieser Nacht bin ich wohl nur knapp dem Tode entronnen, und hier zeigte sich schon das erste Signal Gottes, dass einerseits meine Lebensuhr noch lange nicht abgelaufen war und andererseits, dass Gott mit mir wohl noch einiges vorhatte. Mein Vater löste dann also noch nachts das Rezept in einer Notapotheke ein, mitten durch den Schneesturm. Das Schlafzimmer meiner Eltern, indem ich lag, war kalt und das Federbett war eigentlich „tödlich“ für Asthmakranke, aber zu diesem Zeitpunkt wussten meine Eltern das noch nicht. An die Schlafzimmerfenster peitschten die klirrend kalten Winde. Die Kälte war so enorm, dass sich Eiskristalle an den Scheiben bildeten, obwohl vor den Fensterscheiben zusammengerollte Handtücher lagen, die die Kälte und vor allen Dingen die Feuchtigkeit abhalten sollten. Mit so primitiven Mitteln musste man in diesen Jahren auskommen, obwohl das Wirtschaftswunder in der frühen Bundesrepublik schon zu blühen begann und der amerikanische Marshallplan für die Bevölkerung seine Wirkung zeigte. Bloß bei meinen Eltern war dies noch lange nicht angekommen. Meine Mutter war Hausfrau und mein Vater Rentner und Kriegsschwerbeschädigter. Er war lange in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen und konnte nach seiner Entlassung seinen ursprünglichen Beruf als Klempner aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Nun aber zurück zu dieser kalten vorweihnachtlichen Nacht: Irgendwann kam mein Vater dann zurück und meine Eltern schoben mir ein Zäpfchen in den Po. Das muss wohl so eine Cortison-„Bombe“ gewesen sein, die mich trotz weiter anhaltender Atemnot letztlich irgendwann einschlafen ließ.

In meinem weiteren Leben hat sich dann herausgestellt, dass mir die Krankheit „treu“ geblieben ist. Aber auch da konnte Gott helfen; dazu später mehr…

Nun entwickelte sich meine Kindheit, mal abgesehen vom Asthma, recht behütet, scheinbar behütet, und ich spielte unbeschwert in unserem Kinderzimmer, das ich mir mit meiner um vier Jahre älteren Schwester teilte. Schon in so jungen Jahren entwickelte ich eine ausgeprägte Kreativität beim Malen und beim Lego-Spielen, obwohl sich später in der Schulzeit herausstellen sollte, dass ich, bestimmt auch durch das lange Geburtsprozedere, ein absoluter „Spätzünder“ war, wie man so schön sagt…

Die erste Schulklasse war dann auch die „Hölle!“ Als ob das Asthma mit immer wiederkehrenden heftigen Anfällen noch nicht genug gewesen wäre, hatte ich auch einen schweren Sprachfehler väterlicherseits vererbt bekommen. Das führte dazu, dass ich von den Klassenkameraden ohne Unterlass gehänselt wurde. Oft hörte ich den Satz: „Äh, da kommt ja wieder der Stotterer, der begreift ja sowieso nichts…!“ Das tat sehr weh, war aber noch nicht alles. Auch kippten die Mitschüler einmal meinen Schulranzen nach der Schule aus und verstreuten meine Hefte und Bücher auf dem Bürgersteig. All das führte letztlich dazu, dass meine Eltern irgendwann einsahen, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Fragwürdiger Höhepunkt der Schmähungen und Ausgrenzungen sollte dann im ersten Schuljahr die Weihnachtsfeier der Klasse werden. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir an einem Samstag mit meiner Mutter und Schwester stundenlang im Kinderzimmer leere Streichholzschächtelchen kunstvoll beklebten, mit Glitzerpapier einpackten, mit Sternchen verzierten und der Inhalt war dann ein Radiergummi oder ein Anspitzer oder so etwas in der Art. An die Schächtelchen befestigte meine Mutter dann kunstvoll einen Bindfaden, um diese kleinen Schachteln damit an einem Tannenbaum anhängen zu können. Dann kam die Weihnachtsfeier heran. In der großen Schulaula war ein wunderschöner großer Tannenbaum aufgestellt, und alle Kinder brachten ihre gebastelten Teilchen, ich natürlich auch, und hingen sie an den Baum. Die Feier nahm ihren Lauf, mir war ganz feierlich zumute und mit großen erwartungsvollen Kinderaugen sah ich der Bescherung entgegen. Fast alle Kinder waren vor mir dran; zum Schluss hingen noch drei Schachteln am Baum. Ich dachte nur „Irgendwann muss ich doch auch mal an der Reihe sein!“, da waren´s nur noch zwei, und als das letzte Schächtelchen am Baum hing, da war das unser eigenes gebasteltes Kunstwerk, und ich dachte „Na gut, bekomme ich wenigstens das…!“ Von wegen! Auch diese Schachtel ging an ein anderes Kind. So traurig bin ich wohl noch nie nach Hause gelaufen. In Tränen aufgelöst, erzählte ich meinen Eltern diese Geschichte. Das war dann der Impuls für sie, mich umschulen zu lassen. Ich konnte dann später die erste Klasse wiederholen und in einer Hauptschule für sprachbehinderte Kinder die ersten schönen Schulphasen durchleben und einfach nur „Kind“ sein.

In dieser Zeit war es zu Hause üblich, dass sich am Samstag das ganze Familienleben praktisch in der Badewanne abspielte. Der Samstag war der „große Badetag“. Sollte das vielleicht eine kleine Anspielung darauf sein, dass man sich durch körperliche Reinigung vorbereiten wollte auf die geistige Reinigung am Sonntag? Ich glaube nicht! So weit sind wir noch lange nicht. Die Woche endete dann immer sonntags brav mit den Gottesdienstbesuchen der Neuapostolischen Kirche. Jeden Sonntagvormittag um 10.00 Uhr und am Nachmittag um 16.00 Uhr waren die Gottesdienste angesetzt. Als Kind musste man ganz brav, adrett und reinlich angezogen sein, sich benehmen und nur ja nicht auffallen. Damit ich auch wirklich „schön artig“ war, nahm mich meine Mutter mit auf die Kirchenempore, damit sie mich ständig unter Kontrolle hatte. Meistens hatte ich so ein kleines PIXI-Bilderbüchlein dabei, damit ich mich nicht gar zu sehr langweilte. Einmal fragte ich in einem Vormittagsgottesdienst meine Mutter: „Mama, wann ist denn der Onkel endlich da vorne fertig; ich will nach Hause?!“ Da ich nun mittlerweile die Schule besuchte, musste ich demnach auch die Sonntagsschule der NAK besuchen. Diese Stunden fand ich als Kind weniger langweilig als die Gottesdienste der „Großen“. Wir sangen neuapostolische Kinderlieder, wie z.B. „Gott ist die Liebe, lässt mich Erlösen…“ usw., und unser Sonntagsschullehrer erzählte uns kindgerecht biblische Geschichten, die den Geschichten im damaligen Religionsunterricht der Schulen glichen. Somit war da eigentlich nichts auszusetzen. Die Kinderseele nahm das alles interessiert auf und fand das auch recht schön, aber eigentlich wollte sie wohl lieber zu Hause bleiben und Lego spielen. Später dann stellte sich heraus, dass ich auch schon recht früh dem anderen Geschlecht gegenüber nicht abgeneigt war. Mit ca. 11 Jahren hatten wir einen großen Kindergottesdienst in einer vergleichsweise großen Kirchengemeinde der NAK (Neuapostolische Kirche). Wir fuhren mit unserem Gemeindevorsteher (so die Bezeichnung für die Gemeindeleitung) zu fünft zu diesem großen Festgottesdienst. In dem Auto saß ein wunderhübsches Mädchen aus unserer Gemeinde, in das ich mich sofort „verguckte“. Nun muss man wissen, dass die NAK - ich werde jetzt immer diese Abkürzung zur Vereinfachung benutzen - eine Kirche ist, die das Kirchenamt sehr in den Vordergrund stellt und überaus stark betont. Bestandteil der Lehre dieser Kirche ist das sogenannte „wiederaufgerichtete Erlösungswerk Gottes“ in Form der Gesandten Jesus Christi, die sich selbst Apostel nennen (derzeit gibt es wohl ca. 350 Apostel der NAK weltweit!). In diesem Festgottesdienst war nun der „Bezirksapostel“, der für unseren regionalen Bereich zuständig war, eingeladen, den Kindern einen Gottesdienst zu „bereiten“. Das war auch recht lustig und die Geschichten waren gut zu hören, aber ich zappelte auf meiner Kirchenbank hin und her und musste immer zu diesem hübschen Mädchen schauen… Also früh übt sich, was ein Meister werden will…! Später stellte sich natürlich heraus, dass es eine einseitige „Sandkastenliebe“ war, wie man heute so salopp sagt. SIE wollte von mir nichts wissen, aber ich betete sie damals an wie eine „Göttin“ und das jahrelang. Stets adrett gekleidet zu sein, das war auch immer ein äußerliches Merkmal der NAK: Die Mädchen hatten sonntags Lackschuhe, weiße Strümpfe und niedliche Kleidchen an und wir Buben mussten uns schon in feinen Kinderzwirn mit Kinderkrawatte oder Fliege mit Gummiband zwängen. Dazu fällt mir noch eine kleine Anekdote ein: An einem schönen sommerlichen Sonntagnachmittag hatten wir wieder einmal Sonntagsschule. Ich trug an diesem Tag einen Kinderanzug mit Gummiband-Krawatte. Neben mir saß ein kleines freches Mädchen und griff unvermittelt an meine Krawatte, zog sie bis fast zum Bauchnabel hinunter, ließ dann los und „peng“, hatte ich die Krawatte schmerzend am Hals. Die ganze Sonntagsschule hat lauthals gelacht, kann man sich ja denken… Ich habe dieses Hineinzwängen in enge und unbequeme Kleidung schon sehr früh gehasst. Äußerlichkeiten waren sehr wichtig in der NAK, das war beizeiten zu spüren. Natürlich machten sich auch die Großen sonntags fein, das gehörte einfach dazu. Später sollte sich herausstellen, dass diese Äußerlichkeiten eine wichtige Rolle im Gemeindeleben spielten und sich das viel später auch in gefährlicher Weise potenzierte.

In der Zwischenzeit hatte ich eigentlich, mit ein paar Abstrichen, ein schönes Kinderleben und auch eine teilweise unbeschwerte Schulzeit. Was sehr auffiel: Im Alltag war alles völlig normal, gelöst und entspannt und am Sonntag dann wurde ganz streng auf Etikette, auf Einhaltung von Ritualen und vor allem auf den regelmäßigen Besuch der Gottesdienste geachtet. Es war also ein Aufeinanderprallen von zwei Welten, was mir als Kind damals natürlich nicht so bewusst war.

Nun ist es so, dass in der NAK die Säuglingstaufe praktiziert wird und dass im Zusammenspiel mit der Heiligen Versiegelung erst durch Handauflegung eines Apostels der NAK der Säugling zum Gotteskind und mit dem Heiligen Geist sodann „versiegelt“ wird. Es ist hier von einer sogenannten zweigliedrigen Taufe die Rede, die nur wirksam wird durch die beiden Elemente der Säuglingstaufe selbst in Verbindung mit der Heiligen Versiegelung, die auch ein Sakrament dieser Kirche darstellt. Die Eltern versprechen damit, dass sie das Kind im Sinne der neuapostolischen Glaubenslehre erziehen wollen, bis es zur Konfirmation kommt und das Kind dann in Eigenverantwortung vor Gott für sein eigenes Glaubensleben eintritt, so die Lehre der NAK. So kam es, dass ich 1972 in unserer NAK-Heimat-Gemeinde konfirmiert worden bin. Wir hatten die Aufgabe, ein schwurähnliches Gelöbnis vor Gott und der Gemeinde auswendig aufzusagen. Ich weiß nur noch, dass ich an diesem Tage sehr ernst gestimmt war und mich sehr unwohl fühlte. Außerdem plapperte ich dieses Gelöbnis einfach vor mich hin, nur um mich nicht zu verhaspeln oder zu versprechen. Wir erinnern uns: Ich war als Kind schwerer Stotterer. Das hatte sich in der Zwischenzeit zwar schon sehr verbessert, aber bei großen Aufregungen kam es schon noch durch. Auch ist später auf den Fotos zu erkennen, dass ich wohl geweint habe. Hat die Seele schon gespürt, dass hier etwas nicht stimmte? Ich glaube wohl…! Die Seele konnte sich nur nicht ihre Bahn verschaffen, sie war ja gefangen in den vielen strengen Grenzen der NAK-Lehre und der elterlichen konservativen Erziehung. Natürlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch keine Ahnung davon, dass eine Säuglingstaufe, eine Heilige Versiegelung und auch eine Konfirmation völlig „unbiblisch“ waren; diese Erkenntnis sollte noch weit über drei Jahrzehnte auf sich warten lassen. Ich kann mich dann nur daran erinnern, dass ich nach diesem strengen Konfirmationsritual bei der Feier zu Hause endlich ein wenig auftaute. Ich hatte mir Freunde aus der Gemeinde eingeladen, wir spielten am Nachmittag und die Essenstafel war schön und festlich geschmückt und eigentlich war es auch eine schöne Feier, aber nur im privaten Teil. Nun begann also auch offiziell meine Jugendzeit.

KAPITEL 2

Die Jugendzeit

Was soll ich sagen?! Normalerweise ist die Zeit der „Jugendblüte“ im Leben eines Menschen die schönste Zeit schlechthin, aber nicht so bei mir. Schulisch lief alles fast normal ab. Im siebenten Schuljahr war ich sozusagen "Primus der Klasse" und wurde von meinem Klassenlehrer zeitweise sogar beauftragt, während des Unterrichtes für ihn private Erledigungen zu machen, weil ich den Lehrstoff "drauf“ hatte. Das war natürlich kein Zustand für die weitere schulische Entwicklung, aber ich genoss diese Zeit, denn endlich hatte ich die Anerkennung, nach der ich mich so sehnte.

Zwei Jahre nach meiner Konfirmation erkannten meine Lehrer und meine Eltern dann in einem Gespräch bei uns zu Hause, dass ich mich auf der Hauptschule, die als "Doofenschule" verschrien war und von der viele Leute meinten, dass Kinder einer Schule für Sprachbehinderte automatisch auch geistig behindert sein müssten, nicht optimal weiterentwickeln könnte und daher ein Wechsel auf die Realschule angeraten sei. Also wurde ich umgeschult und kam schließlich in die einzige Realschule für sprachbehinderte Kinder in ganz Berlin-West.

Es war eine qualitativ hochwertige Schule, die sich nur durch einen sogenannten Sprachtherapie-Unterricht, der an den Deutsch-Unterricht ergänzend angegliedert war, von anderen Realschulen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweiges unterschied. Dieser Therapie-Unterricht war dann entscheidend, dass mein schweres Stottern erfolgreich bekämpft werden konnte. Viel später sollte ich in einem Call-Center arbeiten, und da ich früher so gut wie kein Wort ohne Stottern heraus bekam, ist das für sich schon ein Wunder Gottes!

Nun stellte sich leider heraus, dass ich durch die vorherigen Lerndefizite in der Hauptschule einen immensen Lernnachholbedarf hatte. Ich konnte unter diesen Umständen meine guten Noten aus der Hauptschule kaum halten. Die Schultage waren knüppelhart: 6 oder bis zuweilen 8 bis 10 Stunden Unterricht mit einem Schulweg quer durch Westberlin von ca. eineinhalb Stunden je Richtung (!), dann Mittagsessen, danach stundenlang Hausaufgaben erledigen und den nachzuholenden Stoff beackern. Nachhilfeunterrichtsstunden in Sachen Mathematik von zu Hause aus wurden auch erforderlich. In dieser Phase kamen die Asthma-Anfälle verstärkt wieder. Sicherlich war auch die körperliche und geistige Belastung dafür verantwortlich, denn das „Asthma Bronchiale“ ist auch ein gutes Stück Erkrankung psychosomatischer Natur. Auf dem Schulweg musste ich vor lauter Atemnot oft mein Spray nehmen, und das war früher Cortison pur! So langsam jedoch erholte ich mich und es war so, dass ich auch den Lehrstoff in beinahe allen Bereichen nachholen und leistungsmäßig damit zu meinen Schulkameraden aufschließen konnte.

Die Gottesdienstbesuche gingen ganz normal weiter; ich kannte ja auch nichts anderes. Was dazu kam, waren die sogenannten Jugendstunden. Ich wurde so langsam in die neuapostolische Kirchenjugend integriert. Fühlte mich aber dort nicht wohl. Nach zwei sonntäglichen Gottesdiensten war man körperlich und geistig ziemlich „fertig“ und kaum noch aufnahmebereit; so ging es mir zumindest. Es war zwar sehr schön, dass die Jugendstunden in einem ziemlich urigen Keller einer Nachbargemeinde stattfanden, bei Tee und Schmalz-Stulle (Berliner Ausdruck für Brotscheibe), aber so richtiges Wohlbehagen wollte nicht bei mir aufkommen. Das hatte dreierlei Gründe: Zum einen war man ziemlich fertig, wie oben beschrieben, zum anderen waren viele Jugendliche in einem schon sehr fortgeschrittenen Teenie-Alter, so dass ich mich bei den Themen oft als „fünftes Rad am Wagen“ fühlte, und zu guter Letzt wurde die Jugendstunde immer mehr zu einem dritten Gottesdienst stilisiert, so dass kaum noch Freiräume für die Teenies entstanden. Das gipfelte darin, dass einer der Jugendlichen aus der Zeitschrift „Unser Weg“ (hauseigene Jugendzeitschrift) vorlas, und das war i.d.R. sehr öde und langweilig, weil es von irgendwelchen Gottesdiensten handelte, die vom Stammapostel (der „Papst“ oder „Petrus“ der NAK, also oberste Instanz) gehalten worden waren. Das Schmalzbrot schmeckte, keine Frage, aber ich wollte eigentlich am Sonntagabend lieber Freizeit genießen, das war im Grunde meine ganze Sehnsucht. So war nun der Sonntag ein bis obenhin vollgepackter „Arbeitstag“ geworden, so dass man sich fast wieder auf den anstrengenden Montag in der Schule freute. Dazu gesellten sich unter der Woche immer mehr neuapostolische „Unbedingt-Muss-Termine!“ Als heranwachsender Jugendlicher in dieser Kirche war man anscheinend „Freiwild“ geworden für alle möglichen Aktivitäten rund um die NAK. Ich muss zwischenzeitlich erklären, dass ich nach der Konfirmation wirklich freiwillig und mit großer Freude auch im Gemeindechor mitsingen durfte. Die ersten zwei Jahre nur in den Übungsstunden des Chores, und nach diesen beiden strengen Jahren wurde ich dann vollwertiges Chormitglied und durfte dann endlich auch im Gottesdienst mitsingen. Das war eine Tätigkeit, die mir noch am meisten Freude bereitete. Alles Andere hatte sich inzwischen zur Last entwickelt. Zurück zu diesen Aktivitäten: Also, so eine NAK-Woche konnte durchschnittlich schon mal so aussehen:

Montag: Chorübungsstunde der bezirksübergreifenden Jugend oder aber Chorübungsstunde des Schulchores, der ein Zusammenschluss bezirksübergreifender Gemeindechöre war, mit dem Ziel, in regelmäßigen Abständen in einer großen NAK-Gemeinde in einer Feststunde gemeinsam Lieder zu singen und auch mit der Möglichkeit, dass sich die einzelnen Gemeindechöre mit ein oder zwei Liedern vorstellen konnten, um somit ihre Gesangsqualität unter Beweis zu stellen, also ein kleiner Gesangswettstreit.

Dienstag: Vielleicht zusammen mit einem Priester an fremden Türen klingeln und Einladungen zum Gottesdienst für Gäste auszusprechen. Evtl. Geschwister besuchen in Begleitung von Diakonen oder Priestern als mögliche Amtsvorbereitung. Das „hinterrücks Getuschel“ begann recht bald, wenn man zu solchen Aufgaben berufen wurde; man sagte dann schnell: „Derjenige kommt bestimmt bald ins Unterdiakonen- oder Diakonen-Amt und sollte sich schleunigst ein weißes Hemd, einen schwarzen Anzug und eine schwarze Krawatte anschaffen“ (das ist bis heute die Einheitstracht aller NAK-Ämter vom Unterdiakon bis zum Stammapostel).

Mittwoch: Am Abend war immer Gottesdienst ohne Abendmahl.

Donnerstag: Übungsstunde des Gemeindechores.

Freitag und Samstag: Man staune: Keine Termine, es sei denn, dass man „in Amt und Würden“ war, was ja bei mir, Gott sei Dank, nicht der Fall gewesen ist.

Sonntag: Vormittagsgottesdienst um 10.00 Uhr morgens mit Abendmahl, Nachmittagsgottesdienst dann um 16.00 Uhr mit Abendmahl für die, die am Vormittag verhindert waren, und abends noch die Jugendstunden, die immer mehr zum dritten Gottesdienst des Tages avancierten.

Ja, und dann ging die ganze „Tretmühle“ wieder von vorne los. In dieser ganzen Jugendzeit funktionierte ich nur noch. Von „gerne tun“ oder gar „selig werden im Gottesdienst“ war bei mir keine Rede mehr. Fragen, ob die Lehre richtig war, ob alles so in Ordnung war, kamen in der Seele aber nicht auf, ich erstarrte einfach in Routine. Das konnte bei anderen Jugendlichen durchaus anders sein, das will ich nicht ausschließen, aber meine Seele erlebte diese Zeit halt so. Alles wurde mir mehr und mehr zur Belastung. Sogar die Chorübungsstunde, die ganze Chorarbeit, die mir gerade am Anfang meiner Jugendzeit viel Freude gemacht hatte, erstarrte ebenfalls zur Routine, weil unser Gemeindedirigent in seiner doch recht begrenzten Befähigung und zudem durch seine sehr langweilige Art und Weise zu dieser Entwicklung stark beitrug. Damit möchte ich diesen Dirigenten in keiner Weise schlechtmachen, aber als Dirigent war er in seinen fachlichen Möglichkeiten doch stark begrenzt. Ich werde keine Namen nennen, denn ich möchte keinen Menschen kompromittieren. Deshalb muss ich an dieser Stelle auch darauf verzichten, den lustigen internen Spitznamen, den dieser Dirigent in unserem Chor trug (man konnte bei diesem Spitznamen auf seinen Nachnamen schließen…), zu erwähnen.

Kurzum, ich wäre so mancher Übungsstunde und so mancher NAK-Aktivität lieber ferngeblieben, zugunsten von privater Freizeit. Es war auch die Zeit, in der meine Seele die Unbeschwertheit aus der Kindheit zugunsten einer von Angst geprägten Beschwertheit immer mehr verlor. Ich spürte immer stärker den inneren Druck dieser Religionsgemeinschaft, weil so vieles, was gepredigt wurde, zum regelrechten Dogma erhoben wurde. Dies empfand ich besonders bei den überbezirklichen Jugendgottesdiensten, die einmal im Monat am Sonntagabend stattfanden. Wie oft wurde dann der absolute Weltuntergang gepredigt: Dass die Weltmächte die Macht hätten, die Erde hundertfach zu vernichten, und wir mögen doch daran denken, dass die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorstünde. Nur wer dem Stammapostel und den Aposteln treu nachfolgen würde, wäre dabei, wenn der Herr Jesus wiederkommen würde. Die Stelle von der Braut Christi und den “144.000 Erstlingen“ in der Bibel würde nur für treue nachfolgende neuapostolische Christen reserviert. Durch die Überbetonung des möglichen mehrfachen „Overkills“ wurde dieses durchaus realistische Szenario - wir hatten ja damals wirklich weltpolitisch den „Kalten Krieg“ - als Angst- und Druckmittel eingesetzt, ja missbraucht, damit man nur ja nicht den Glauben und die Ämter hinterfragen würde. Es war ein Machtinstrument des neuapostolischen Establishments, damit man die eigenen Schäfchen auch schön unter Kontrolle behielt. Selbstverständlich waren diese Druck- und Angstmechanismen auch wesentliche Bestandteile der normalen Predigten an Sonntagen und an Mittwochabenden, gar keine Frage, aber es fiel auf, dass diese Predigtmerkmale besonders stark bei eben diesen Jugendgottesdiensten hervorgehoben wurden und natürlich auch bei jedem Apostelgottesdienst. Vielleicht hatte man besonders bei den Jugendlichen die Befürchtung, viele zu verlieren, wenn man sie nicht regelmäßig hart und gebetsmühlenartig auf die eigene Linie „einschwört“, ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Es war Mitte der 70er Jahre wirklich besonders schlimm. Außerdem schottete man sich extrem gegenüber anderen Kirchengemeinschaften ab. Das hatte eigentlich schon nichts mehr mit Abgrenzung zu tun, sondern fast mehr mit einem sich „selbst einigeln“. In diesem künstlich geschürten Klima aus Druck und Angst konnten sich bei mir persönlich im Herzen nicht wirklich Vertrauen und schon gar keine Liebe zu Gott entwickeln. Ganz im Gegenteil: Die Last in der Seele wurde immer größer, weil man sich durch das ständige dogmatische „Einhämmern“ immer mehr bewusst wurde, dass man eigentlich selbst gar keine Chance hatte, bei den „Erstlingen“ dabei zu sein und somit dem ewigen Verderben preisgegeben war! Es fiel auch verstärkt auf, dass man als Jugendlicher eigentlich zum absoluten „Duckmäuser“, zum blinden Nachfolger seiner sogenannten „Vorangänger“ (NAK-Ämter) und zum absoluten und gänzlich inaktiven christlichen Konsumenten herangezogen wurde. Heute, in der Nachschau von über drei Jahrzehnten, ist mir das völlig klar. Zu den wirklich krassen Auswüchsen in dieser Religionsgemeinschaft gesellte sich zusätzlich eine gefährliche Mischung aus der Verbreitung von Wahrheit, Unwahrheit und Halbwahrheiten. Das ist ein besonders undurchsichtiger Cocktail und immens gefährlich für die Seele. Natürlich gab es wirklich die Gefahr eines Overkills, natürlich wartet jeder Christ auf das Kommen des Herrn Jesus. Aber es müsste doch eigentlich eine frohe und fröhlich machende Botschaft sein und keine, die Angst und Schrecken verbreitet. Auch bei dem absoluten Event des NAK-Kirchenjahres im Raum Berlin-West, dem Stammapostel-Festgottesdienst in der Berliner Deutschlandhalle unter dem Funkturm, waren diese fundamentalistischen Merkmale wesentlicher Bestandteil der Predigten. Zu den 70er Jahren und natürlich auch zu den 80ern Man kann man resümieren: Die NAK war eine fundamentalistische Endzeitkirche, die mit viel Druck das Ende dieser Welt herbei predigen wollte und sich dabei immer mehr von der Bibel entfernte. Ein lieber Mitbruder und Mitstreiter, der später mit mir zusammen sieben Jahre (1979-1986) im Schallplattenchor von Berlin-West mitsang und als Vizedirigent und Komponist agierte und später auch NAK-Aussteiger wurde wie ich, hat eine sehr treffende und wissenschaftliche Arbeit im Internet veröffentlicht unter dem Titel “Merkmale einer fundamentalistischen Religionsgemeinschaft am Fallbeispiel der NAK“. Dieses Werk hat mir deshalb so gefallen, weil in dieser sachlich-wissenschaftlichen Abhandlung immer wieder Zitate aus Predigten „berühmter“ Stammapostel und Apostel eingearbeitet worden sind und hier, anhand der Zitate, wunderbar der fundamentalistische und dogmatische Charakter dieser Predigten herausgestellt werden konnte. Ein wahres Meisterwerk, manchmal schwer verdaulich und durchaus auch schwer zu lesen, aber dieses Thema ist ja durchaus schwer verdaulich, aber dennoch ist es gut, dass sich ein Insider einmal sehr intensiv dieser Thematik angenommen und sich damit auch viel Mühe gemacht hat. Auf die dogmatischen Auswüchse innerhalb der NAK werde ich später noch detailliert zurückkommen.

Jedenfalls war diese Jugendzeit mit Schwierigkeiten „nur so gepflastert“, aber vielleicht deshalb auch nie langweilig. Ich will hier keine Klagelieder über mein Leben singen und nur jammern, aber wenn man sein Leben in der Rückschau intensiv reflektiert, dann muss man auch bemüht sein, dabei ehrlich und vor allen Dingen authentisch zu bleiben. Ich hätte mir gerne eine unbeschwerte(re) Jugendzeit gewünscht.

Wie dem auch sei: Inzwischen hatte ich mit zahlreichen Nachhilfestunden und Mühen die Realschule erfolgreich absolviert, dagegen war die Suche nach einem Ausbildungsplatz vergleichsweise ein Fiasko. Ich bewarb mich bei vielen Firmen und Konzernen und damals war es schon äußerst schwierig, als Azubi unterzukommen, obwohl noch keine Wirtschafts- und Finanzkrise herrschte wie heute. Bei SIEMENS zum Beispiel bestand ich die ganztägige (!) schriftliche Prüfung problemlos, was mir natürlich große Hoffnung gab, einen der begehrten Ausbildungsplätze zu ergattern. Dann kam die mündliche Prüfung heran, die ich vor lauter Prüfungsangst total „versemmelte“. Da war die Enttäuschung riesengroß, aber ich machte weiter und es stellte sich nach vielen, vielen Bewerbungen letztlich heraus: Alles vergebens! Auf jeden Fall gab ich nicht auf und da sich herausstellte, dass es wohl mit einem Ausbildungsplatz nicht mehr rechtzeitig klappen würde, meldete ich mich für das Berufsgrundbildungsjahr an, dem sog. BGJ. Das ist eine Wirtschaftsschule, früher hätte man dazu „höhere Handelsschule“ gesagt. Es war von 1975-76 mein schönstes Schuljahr überhaupt und wunderbar dazu geeignet, sich durch entsprechende Unterrichtsfächer auf das Berufsleben vorzubereiten. In diesem Schuljahr war die Kameradschaft im Vergleich zu allen Schuljahren zuvor die beste, die ich jemals hatte, und das tat mir sehr gut. Inzwischen lernte meine Schwester einen sehr sympathischen Mann aus der österreichischen Hauptstadt Wien kennen und lieben. Er „wickelte“ die gesamte Familie mit seinem großen Charme ein, was sich später als durchaus verhängnisvoll erweisen sollte. Kurzerhand heiratete meine Schwester diesen Wiener, der auch neuapostolischer Christ war, in unserer Heimatgemeinde in Berlin-West. Ich hatte zu meinem Schwager ein sehr herzliches Verhältnis, ein unbegrenztes Vertrauen und wir unternahmen sehr viel zusammen, verstanden uns prächtig und ich klagte ihm oft mein Leid mit dem anderen Geschlecht… Alles lief optimal, harmonisch und liebevoll. In der Zwischenzeit schaltete ich in der NAK-eigenen Zeitschrift „Unsere Familie“ eine Kontaktanzeige, dass ich eine liebe Glaubensschwester als Freundin und dauerhafte Partnerin, Heirat nicht ausgeschlossen, suchen würde. Dazu muss ich noch erwähnen, dass der Besuch von „weltlichen Schauplätzen“ wie Kino, Theater, Tanzboden, Kabarett, Teilnahme an Faschingsveranstaltungen u.v.m. für NAK-Mitglieder komplett verboten war. Das ging so weit, dass sogar das heimische Fernsehgerät verpönt war. Aus diesem Grund dachte ich, dass ich praktisch kaum die Möglichkeit hätte, ein liebes Mädchen kennenzulernen, weil ja die Jugendstunden komplett steif und durchstrukturiert kaum Kontaktmöglichkeiten boten. Da kam mir die Idee mit der Annonce gerade recht. Gesagt, getan… Aus einer Vielzahl von Zuschriften konnte ich auswählen. Ein sehr hübsches, aber noch sehr junges Mädchen (16) schrieb mir und ich guckte nur auf das Äußere. Das war meiner damaligen Unreife in diesen Dingen geschuldet. Das Drama nahm seinen Lauf. Ostern 1979 fuhr ich in den schönen Westerwald, um das Mädchen kennenzulernen. Ich fand sie wirklich sehr hübsch und verguckte mich in sie, von Liebe möchte ich gar nicht erst reden. In meiner grenzenlosen Naivität damaliger Tage und durch meine ebenfalls grenzenlose Sehnsucht, endlich die richtige Partnerin für das ganze Leben finden zu wollen, sah ich alles durch die „rosarote Brille“ und erkannte die ganz feinen und hintergründigen Signale nicht, die ich unbedingt hätte erkennen müssen! Erschwerend kam hinzu, dass sich die evtl. zukünftige Schwiegermutter (die ganze Familie war auch neuapostolisch) als „Kuppelmutter“ entpuppte und „die Fäden im Hintergrund“ zog. Ich war also immun gegen bestimmte Signale, die andeuteten, dass das hübsche Mädchen mich eigentlich nicht lieben konnte, sondern nur als Freund oder Bruder akzeptieren würde. Sie spielte aber ihre Rolle, getrieben durch die eigene Mutter, gekonnt weiter. Das gute Wetter, die schöne Landschaft rund um das „Hermannsdenkmal“ und die tolle Atmosphäre zu Ostern 1979 trugen dazu bei, dass ich mit der gesamten Familie aus dem Westerwald nach Berlin „rauschte“ und meine eigene Familie praktisch fast vor vollendete Tatsachen stellte, indem ich mich mit meiner neuen angeblichen Liebe verlobte, obwohl wir uns noch gar nicht richtig kannten. Dieses ganze Szenario war derart lebensfremd und unwirklich, dass mir das auch heute noch recht suspekt vorkommt, wie eine solche „rosarote Brille“ derart in die Irre führen kann. Es war wie eine Schmierenkomödie oder wie ein schlechter Dreigroschenroman, aber mit letztlich umfangreichen Konsequenzen für alle! Über Nacht musste wohl die Schwiegermutter in spe wieder ihre durchaus stark ausgeprägte Kuppelleidenschaft entdeckt und blitzschnell „geschnallt“ haben, dass ja eigentlich der Mann meiner Schwester eine viel bessere Partie für ihre Tochter wäre als ich. Ich selbst habe im Schlaf davon nichts mitbekommen, aber dieser Kuppelversuch war wohl so erfolgreich gewesen, dass ich morgens die Verlobungsringe von meiner nunmehr Ex-Verlobten fand und auf einmal waren sie alle „über alle Berge“, Richtung Westerwald. Ein Außenstehender kann sich kaum vorstellen, was nun bei uns in der Familie los war. Meine Schwester stand von jetzt auf gleich ohne Mann da und blieb auf von meinem (nun Ex-)Schwager mit in die Ehe gebrachten Schulden von ca. 10.000 DM sitzen. Mein Vater bekam prompt Herzrhythmusstörungen, so dass der Notarzt kommen musste. Ich war in Tränen aufgelöst, Verlobte weg, Schwager weg. Es war Chaos pur! Gott sei Dank konnte der Notarzt meinen Vater stabilisieren. Wir beteten alle in der Not und meine Schwester wünschte sich ihren Mann sogar als Krüppel zurück…- das muss man sich mal vorstellen! Je länger dieser Scherbenhaufen andauerte, desto schuldiger fühlte ich mich, der eigentliche Auslöser dieser Situation gewesen zu sein. Zwei Tage später kam die gesamte „Bagage“ aus dem Westerwald nach Berlin zurück und wollte klammheimlich die Wohnung meiner Schwester ausräumen. Meine Schwester war Gott sei Dank in ihrer Wohnung zugegen, so dass sie den „Überfall“ mitbekam und uns telefonisch zur Hilfe rief. Als ich meinen Schwager (er war ein sehr schlanker Mensch) sah, gab ich ihm in einer Affekthandlung eine Ohrfeige, und das schmächtige Leichtgewicht flog vom Essbereich des Wohnzimmers durch die Küche hindurch bis in das Schlafzimmer hinein. Kaum auszudenken, wenn ich richtig zugeschlagen hätte; der Mann wäre krankenhausreif gewesen. Kurzum, nach vielen unschönen Szenen war auch dieses Drama überstanden und die ganze „Bande“ rückte Richtung Westerwald wieder ab. Wir mussten nun mit dieser neuen Situation alle in der Familie fertigwerden. Meine Schwester hatte durch mein Fehlverhalten das größte „Päckchen zu tragen“, da war es ein geringer Trost, dass wir ein halbes Jahr später erfuhren, dass der dortige Bezirksapostel ein Abendmahlverbot für meinen Ex-Schwager und für seine neue Ehefrau (sie heirateten dann recht schnell) verhängt hatte. Dies war ein äußerst seltener Vorgang innerhalb der Neuapostolischen Kirche. Auch die dortige Gemeinde war wohl entsetzt, plötzlich ein ganz anderes Gesicht zu sehen. Das Unterdiakonen-Amt war mein Ex-Schwager natürlich auch los, aber nicht durch Exkommunizierung seitens der NAK, sondern er legte es in diesem Falle, diesmal in weiser Voraussicht, selber ab.

Wäre ich in einem normalen kirchlichen Umfeld und einer Gemeinde, die sich wirklich nach Jesus ausrichtet, groß geworden und nicht in der unsäglichen Atmosphäre innerhalb der NAK, hätte ich auch Liebe und Vertrauen zu Gott unserem Herrn und Jesus Christus entwickeln können, gewiss hätte ich dann die feinen Signale beizeiten verstanden, mit denen mir das hübsche Mädchen zeigen wollte, dass es mich nicht lieben wollte und konnte und nur von ihrer eigenen Mutter manipuliert worden war. Dann hätte ich womöglich christlich gehandelt und wäre unverrichteter Dinge abgereist. Aber da ich zu der Zeit weder Gott noch Jesus wirklich im Herzen hatte, gab ich mich den menschlichen Äußerlichkeiten vollständig hin. Zu welchem Ergebnis das führen kann, möchte ich hier allen Jugendlichen mahnend in ihr Lebensbuch schreiben, damit sie nicht das erleben müssen, was ich erleben musste. Dieses „Schmierentheaterstück“ mit so furchtbaren Konsequenzen war hausgemachtes menschliches Leid und hätte bei richtiger Sichtweise verhindert werden können.

Allerdings: Eines war letztlich doch gut an diesem Chaos: Die Seele war durch den „Verlust“ des Schwagers und auch wegen der Enttäuschung durch die „Verlobte“ innerlich doch sehr bewegt und aufgewühlt, so dass ich beschloss, die Übungsstunden des Berliner Schallplatten-Chores regelmäßig zu besuchen. Der Dirigent und auch Komponist so manchen neuapostolischen Liedgutes hatte eine wunderbare Gabe, die es ermöglichte, auch wenn man noch so müde vom Tagwerk war, einfach von seiner schönen Art mitgerissen zu werden. Man war auf einmal nicht mehr müde. Durch diese Stunden rückte ich ein Stück näher zu Gott, viel mehr als bei allen Gottesdiensten zusammen. Der Gesang tat mir gut, wir sangen nicht nur neuapostolische Lieder, sondern auch Stücke aus dem Messias von Georg Friedrich Händel und Stücke von Johann Sebastian Bach. Diese Stunden kaufte ich sehr gerne aus, der Sonntag jedoch hätte dagegen komplett aus dem Kalender gestrichen werden können.

Ein knappes halbes Jahr nach jenem Geschehen konnte ich, nach extrem kurzer Arbeitslosigkeit, einen Job finden, dem ich dann knappe sieben Jahre auch nachgehen konnte. Ich wurde kaufmännischer Angestellter in einer kleinen Vertragswerkstatt von DAIMLER BENZ und war dort zuständig für die Fakturierung und die Buchhaltung sowie die Abwicklung der Gewährleistungsanträge. Dieser Job machte mir Spaß und ich war dankbar, dass ich mich nach diesen privaten Kapriolen wenigstens beruflich stabilisieren konnte. Der Chef war anfangs sehr nett zu mir und ich fühlte mich in diesem kleinen Familienbetrieb „pudelwohl“. Das Glaubensleben dümpelte so vor sich hin ohne jede Änderung! Für mich war Gott immer noch eine Angstautorität und die NAK ein „Verein zur Vernichtung von persönlicher Freizeit“, so stand es wirklich in meinem Herzen. Jesus existierte lediglich am Rande, da ja dem Stammapostel mit seinen Aposteln alle Ehre gegeben wurde. Nur die Stunden im besagten Chor waren für mich religiöse Highlights.

Meine Sehnsucht nach dem anderen Geschlecht wurde natürlich auch nicht geringer und ich sah auch weiterhin keine andere Möglichkeit, als durch diese Inserate Kontakte zu knüpfen. Aber diesmal sollte ich, zumindest vorerst, Glück haben. Es war sogar eine liebe Glaubensschwester aus Berlin, das war nicht selbstverständlich, weil ja die Anzeige bei der NAK-internen Zeitschrift bundesweit geschaltet wird. Wir nahmen beide schnell Kontakt auf und schlenderten bald Arm in Arm über den Westberliner Kurfürstendamm und waren „im siebenten Himmel“. Das war 1981 im Oktober. Wir lernten uns beide lieben, jedoch je länger die Beziehung anhielt, umso mehr kam die eine oder andere Ungereimtheit zum Vorschein, so dass es für eine tragfähige Ehe wohl nicht zu reichen schien. Im Jahr darauf verlobte ich mich dennoch mit diesem Mädel im Mai und im September war dann Schluss mit der Beziehung. Ich hoffe sehr, dass dieses Mädchen heute eine glücklich verheiratete Frau ist, ich wünsche es ihr sehr. Danach hatte ich erst einmal genug vom weiblichen Geschlecht. In der Zwischenzeit hatte mein Chef eine Kollegin angestellt. Zuerst war alles durchaus harmonisch, aber dann, mit fortschreitender Dauer, wurde das Klima in diesem kleinen Büro (Familienbetrieb) immer vergifteter. Das hatte einen ganz logischen Grund: Mein Chef verliebte sich in meine Kollegin und begann eine Beziehung mit ihr. Schleichend verschlechterte sich das Arbeitsklima, weil mein Chef nicht das Rückgrat besaß, Berufliches von Privatem zu trennen. Er benachteiligte mich immer mehr und das Arbeitsklima ging so langsam „den Bach runter“. Später dann bin ich lieber von selbst gegangen, bevor ich gekündigt wurde. Zum weiteren beruflichen Werdegang später mehr.

Auf Anraten meines Vaters und vieler vergossener Tränen und Gebete entschloss ich mich ein letztes Mal, durch diese doch recht ungewöhnliche Kontaktmöglichkeit mittels einer Anzeigenschaltung eine liebe Glaubensschwester zu finden. Es war für mich die letzte Chance, denn ich hatte mir im Herzen fest vorgenommen: Wenn das hier wieder „in die Hosen geht“, dann bleibe ich Junggeselle und suche mir eine eigene Bude… Es sollte anders kommen: Ich lernte nach sehr erbaulichem Briefkontakt, im Oktober 1984, meine jetzige Frau kennen. Ich fuhr in meinem nagelneuen Opel Kadett, den ich mir ein halbes Jahr zuvor gekauft hatte, nach Mannheim, um sie kennenzulernen. Ich holte sie von ihrer Arbeitsstelle ab und da sie den Wunsch hatte, einmal Heidelberg romantisch kennenzulernen, fuhren wir am selben Abend noch in dieses zauberhafte, wirklich romantische Städtchen und lernten uns lieben. Es war tatsächlich Liebe auf den ersten Blick und meine Frau und ich können zu Recht behaupten, dass wir beide unser Herz in Heidelberg „verloren“ haben. Zum Weihnachtsfest 1984 kam meine „Zukünftige“ das erste Mal nach Berlin. Ich war so freudig und aufgeregt, dass ich die Stunden vor der Abholung vom Flughafen Tegel kaum von der Toilette kam… Die berühmten „Schmetterlinge“ im Bauch, konnte ich sie endlich in die Arme schließen und zum Elternhaus fahren. Wir erlebten zusammen ein wunderschönes Weihnachtsfest und verstanden uns alle auf Anhieb gut. Zwischen den Feiertagen machte ich dann meiner zukünftigen Frau einen Heiratsantrag. Eigentlich war das nicht geplant, da ich ja von den Blitzaktivitäten geheilt gewesen sein müsste, aber hier war ich mir ziemlich sicher, dass es passte. Sie sagte freudig JA und wir genossen diesen winterlich-romantischen Nachmittag im Café im Berliner „Bierpinsel“ (ein Turm an einer belebten Einkaufsstraße in Berlin–Steglitz, der architektonisch an einen Pinsel erinnert und mehrere Gastronomie-Betriebe beinhaltet), danach noch einen zauberhaften Jahreswechsel, dann musste sie leider, aus beruflichen Gründen, nach Mannheim zurück. Wir sahen uns dann knapp zwei Monate nicht. Erst Ende Februar konnten wir noch mal gemeinsam 14 Tage erleben, ich eine Woche in Mannheim und anschließend sie eine Woche in Berlin. Ostern 1985 heirateten wir schließlich in der kleinen NAK-Gemeinde von Mannheim-Seckenheim, ihrer Heimatgemeinde. Es war eine schöne Trauung, das muss man fairerweise sagen. Der dortige Bezirksevangelist (auch ein NAK-Amt) gab uns das Trauwort aus dem Galaterbrief, Kapitel 6, Vers 2: „Einer trage des Anderen Last, so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen.“. Es war ein sehr schönes Wort, was uns in der Realität des Lebens stets geholfen hat, zusammenzuhalten, sich gegenseitig zu respektieren und zu lieben. Ein bisschen „verrückt“ ist das schon, so ein schönes Wort zur Hochzeit zu erhalten, was für uns beide „wie die Faust aufs Auge“ passte, obwohl wir beide ja in dieser NAK eng verwurzelt waren. Gott hat uns beide schon vor unserer eigenen Geburt füreinander bestimmt und somit konnte Gott uns dieses wunderbare Wort als Geleit für unsere Ehe geben, auch durch diese Menschen und Ämter, die in einer Irrlehre verhaftet sind. Das ist eine Ambivalenz, die ich bis heute noch nicht auflösen kann, aber mir ist bewusst: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich (Lukas 18, 27 Jahreslosung für 2009).

Allerdings sollten sich die Dinge, schon gleich zu Beginn unserer Ehe, recht turbulent entwickeln. Mit „Hochzeitsnacht genießen“ war nichts… Ich bekam in jener Nacht einen schweren Asthmaanfall, der dazu führte, dass ich am nächsten Tag in der Uni-Klinik Mannheim behandelt werden musste. Als ich mitbekam, dass sie mich gleich dort behalten wollten und alle Gebäude auch so angeordnet waren, dass man das Gruseln hätte bekommen können (zunächst die Klinik, im Anschluss das Krematorium und dort wiederum gleich der benachbarte Friedhof), schoss es mir durch den Kopf: „Hier musst Du so schnell wie möglich raus!“ So schnell wollte ich nun doch nicht sterben…! Kurzum, wir erzählten, dass wir beide ganz frisch verheiratet waren und Ärzte und Schwestern gratulierten uns herzlich, behandelten mich noch eine Stunde lang und dann entließ man mich letztlich doch. Nachdem ich mich an diesen Tag von den Strapazen gut ausgeruht hatte, konnten wir am darauffolgenden Tag mit „Sack und Pack“ und den ganzen Hochzeitsgeschenken zu unserer neuen ersten gemeinsamen Wohnung in Berlin fahren. Völlig normale Dinge, wie Stress beim Umzug und bei der Einrichtung einer Wohnung, folgten. Bald konnten wir beide dann eine große Wohnungs-Einweihungs-Party feiern, die sehr schön war. Nachdem meine frisch Angetraute auch recht bald einen Job in Berlin in ihrem Beruf als Schuhfachverkäuferin fand, „tobte“ das Leben erst mal in freudigen und schönen Bahnen. Da ich nun aus dem Elternhaus ausgezogen und frisch und glücklich verheiratet war, möchte ich damit das Kapitel der Jugend damit schließen.

KAPITEL 3

Erwachsen - aber nicht im Glauben…

Frisch verheiratet, verliebt und glücklich besuchten wir beide die Gottesdienste der Neuapostolischen Kirche regelmäßig. Was uns dabei auffiel, war viel „Klüngel-Wirtschaft“ innerhalb der Gemeinde und auch eine ausgeprägte Betonung von Äußerlichkeiten, also z.B. was für ein Auto fährt dieser Bruder, welche Schwester hatte denn wieder dieses wunderschöne Kleid an, welche Glaubensschwester aus dem Chor sang besonders schön oder auch „schräg“ usw. usw. Zunächst störte uns das beide nicht so sehr, weil wir ansonsten glücklich waren und sich auch die eine oder andere lockere Freundschaft ankündigte. Auch fiel uns auf, dass im großen Foyer der Gemeinde immer mehr schwarz gekleidete junge Männer „auftauchten.“ Intern nannten wir sie „Schwarzröcke“. Viele, die mit mir die Jugendstunden verbracht hatten, kamen in das Unterdiakonen- und Diakonen-Amt. Zu dieser Zeit war ich äußerst froh, dass ich von solchen Dingen verschont geblieben war; allerdings wusste ich eigentlich nicht so recht WARUM. Es ist zu vermuten, dass ich wohl nicht die richtige „Lobby“ hatte…

Die Arbeit im Chor machte weiterhin viel Freude, aber es waren in der Summe letztlich sehr wenige Gottesdienste, die mich wirklich seelisch berührten, und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich den Kopf auch ziemlich voll hatte mit anderen Dingen, wie z. B. das junge Glück in der Ehe, die sich zuspitzenden Ereignisse im Berufsleben und Diverses mehr. Da war ich für das „Bla-Bla“ vom Altar (bitte die despektierliche Formulierung zu entschuldigen) einfach nicht empfänglich. Eigentlich muss ich sogar sagen, dass mich in der NAK alles zunehmend anödete, aber dies mag vielleicht mehr an meinem schwachen Glauben als an der Institution NAK an sich gelegen haben. Auch fehlten mir wirkliche Glaubenserlebnisse oder eine Nah-Gott-Erfahrung, um im Glaubensleben auch mal vorwärts zu kommen.

In der Zwischenzeit eskalierte nun die berufliche Lage bei MERCEDES BENZ. Wie zuvor bereits beschrieben, kündigte ich selbst in diesem unerträglichen, sehr belastenden Betriebsklima und fand einen neuen Arbeitsplatz. Hier arbeitete ich das erste Mal branchenfremd, also nicht in der Kraftfahrzeugbranche, sondern im Baunebengewerbe, und wollte/sollte Boden- und Scherentreppen sowie Spindeltreppen „an den Mann“ bringen. Dieses durchaus komplexe Thema erschloss sich mir jedoch nicht, so dass ich nach einem halben Jahr, die Probezeit nicht bestehend, wieder „auf der Straße“ stand. Viele Sorgen kamen auf, wie es nun weitergehen könnte. Nach einem vom Arbeitsamt finanzierten Seminar für neue EDV-Programme fand ich Gott sei Dank aber schnell einen neuen Job als kaufmännischer Angestellter in der Musikbranche. Hier war ich zuständig für die Computer-Buchungen von Wareneingang/Warenausgang, Fakturierung, Erstellung von Angebotsschreiben sowie Zahlungsverkehr. Im Grunde für mich kein Problem, nur die Branche als solche lag mir nicht wirklich, aber ich arbeitete mich Stück für Stück ein, so dass ich in dieser Firma zwei Jahre lang tätig war, d.h. bis 1989 hielt ich durch, obwohl ich auch in diesem Unternehmen leider viel unter „Mobbing“ und sogar unter „Bossing“ zu leiden hatte. Als der Leidensdruck zuletzt immer unerträglicher wurde, kündigte ich, da ich zu der Zeit einen neuen Arbeitsplatz in meiner alten „geliebten“ Branche gefunden hatte. Ich wechselte zu einer kleinen VW/AUDI-Kfz-Vertragswerkstatt, wo ich im Büro unter Anleitung des Kfz-Meisters Reparaturaufträge entgegennahm und für die Fakturierung zuständig war. Es war eine kleine „Klitsche“, wie man so schön sagt, aber ich war mehr als „happy“, wieder in meiner eigentlichen Branche Fuß fassen zu können. Leider wurde der Betrieb nach nur einem Jahr aus Altersgründen geschlossen. Nun stand ich wieder „auf der Straße“. Wir schrieben das Jahr 1990 und beruflich wurde es im Anschluss mehr als turbulent. Aber das ist absolut nichts gegen das, was nun mein Glaubensleben aufs Tiefste erschüttern sollte! Ein Jahr zuvor, im November 1989, fiel die Mauer in Berlin und ganz Deutschland. Ein unvorstellbarer Trubel und eine Riesenfreude überall! Ich erlebte das Ereignis zu Hause auf der Couch. Man sah die „alles entscheidende Meldung von Günter Schabowsky“ im Fernsehen, als er in einer eilig einberufenen Pressekonferenz mitteilte, dass das ZK der SED nunmehr beschlossen habe, dass ab sofort keinerlei Einreisebeschränkungen in die BRD und nach Westberlin bestünden und auch keine Visa notwendig seien. Ich habe das erst gar nicht für voll genommen. Zunächst dachte ich, das alles sei ein Scherz. So wie mir, ging es in der Nacht vom 8. auf den 9. November wohl vielen Menschen. Aber es war tatsächlich wahr und das schier Unglaubliche nahm seinen Lauf: Trotz menschlicher Kälte allerorts und Kriegen auf dem ganzen Erdenrund verteilt, fielen sich völlig fremde Menschen um den Hals und feierten gemeinsam diese Nacht. Die Rufe der Leute „Gorbi, Gorbi“ am Kurfürstendamm/Ecke Joachimsthaler Straße (bekannt durch das Café „Kranzler“), als ein BVG-Doppeldeckerbus mit „Wodka Gorbatschow“-Reklame vorbeifuhr, klingen mir noch immer in den Ohren, als sei es gestern gewesen. Ich war emotional derart aufgewühlt, dass ich nichts Besseres zu tun hatte, als meine Frau, die als Schuhverkäuferin durchaus einen mehr als schweren Job hatte und den ganzen Tag auf den Beinen stehen musste, nachts um 2:00 Uhr wachzurütteln, um ihr mitzuteilen: „Ein Wunder ist geschehen, ein Wunder ist geschehen, die Mauer ist gefallen, eine Sensation…!!!“ Meine Frau drehte sich um und brüllte mich an: „Bist Du wahnsinnig? Ich will schlafen…!!!“, und das mit derart bösen Blick, als wollte sie mich im nächsten Moment erschlagen. Am nächsten Morgen war die Luft in ganz Berlin von einem Trabi- und Wartburg 2 Takt-Benzin-Gemisch geschwängert, es wimmelte von Menschen und Autos. Ein Open-Air-Vergnügen ungeahnten Ausmaßes! Es war eine Stimmung wie bei einem gigantischen Volksfest; man hätte denken können, dass alle Menschen vor Freude betrunken wären. Ich war gefühlsmäßig mitgerissen von diesem Ereignis historischer Dimension. Dieses Erleben sollte später noch nachhaltige Auswirkungen auf mein Leben haben. Natürlich besuchte ich die Gottesdienste der NAK noch regelmäßig. Aber glaubensmäßig fühlte ich mich eigentlich schon wie ein angeschlagener Boxer, der sehnsüchtig auf das Anzählen und das Beenden des Kampfes durch den Ringrichter wartete. Im März 1990 besuchten wir unsere Verwandten in der DDR, denn nun konnten wir ja problemlos dorthin fahren. Es handelte sich um meinen Halbcousin, der mit Familie in Bad Freienwalde wohnte. Er war Priester in der dortigen NAK-Gemeinde. Während des Gottesdienstes sang ich noch im dortigen Chor mit, spürte aber, dass mir das alles so fremd, eigentlich richtig künstlich, vorkam, wie ich mich abmühte. Zwei Monate später, zu Pfingsten, platzte dann vollends „die Bombe“:

In unserer Heimat-Gemeinde in Berlin-West gab es zum ersten Mal eine Bildübertragung via Satellit vom Festgottesdienst mit dem „Führer“ dieser Religionsgemeinschaft, dem Stammapostel, der so genannt wird und sich auch so nennen lässt. Dazu muss man wissen, dass der Pfingstgottesdienst dieser Kirche immer schon der absolute Höhepunkt des neuapostolischen Kirchenjahres war und auch heute noch ist. Neu war halt nur die Bildübertragung. Über dem Altar war eine große Leinwand aufgebaut, auf die das Bild projiziert wurde. Die Übertragung aus der österreichischen Hauptstadt Wien, wo das Ganze stattfand, begann mit feierlicher neuapostolisch-sakraler Kirchenmusik. Eine riesige Halle war zu sehen. Davor in Abständen weiße Flaggen mit dem NAK-Symbol, ein Kreuz mit der aufgehenden Sonne und darunter Wellen. Dann war eine „quakende“ Stimme zu hören, die mühsam versuchte, sonor und „getragen“ zu klingen, als sie verkündete, dass die internationale Bildübertragung hiermit feierlich eröffnet sei. Angesichts der zahllosen Flaggen und dem allgegenwärtigen NAK-Emblem dachte ich bei mir „Was für ein Pomp!“ Nach mehreren Chorliedern und dem gemeinsam gesungenen Kirchenlied begann der Stammapostel mit seiner Predigt. Schon bei den ersten Sätzen musste ich denken: „Nö, sehe ich anders!“. Ein paar Minuten später wieder: „Nein, da liegst Du falsch, Stammapostel!“. Ich steigerte mich regelrecht in diese oppositionelle Rolle hinein. Das ging so weit, dass ich bei einem Wort, was mir wieder nicht „in den Kram passte“, sogar aufstehen und einfach nur `raus und nach Hause gehen wollte. Sicherlich, die Angst vor der eigenen Courage und natürlich der Aspekt, die anderen Geschwister bei der Predigt nicht stören zu wollen, hielten mich von diesem Vorhaben ab. Trotzdem war der Eklat letztlich da!

Seit diesem Gottesdienst sollte es weit über ein Jahrzehnt dauern, bevor ich wieder die Schwelle eines neuapostolischen Kirchengebäudes betreten sollte. Das Erleben dieses Gottesdienstes hatte mich derart angewidert, dass ich zunächst und bis auf Weiteres wirklich genug hatte. Und dennoch: Ein restliches Unbehagen, ein Gefühl wie etwa „Und was passiert, wenn die NAK doch mit allem Recht hat?“ blieb. Diese diffuse Angst, dieses Überbleibsel aus jahrzehntelanger Indoktrination, eben jenes unklare Gefühl, beschlich meine Seele in sehr starker und unangenehmer Art und Weise. Am darauffolgenden Sonntag besuchte meine Frau ganz normal den Gottesdienst und ich erforschte stattdessen mit meinem Auto die nähere Berliner Umgebung. Ich fuhr ziellos durch die Dörfer und schaute mir so manches an, was mir seit meiner Geburt, durch Mauer und Stacheldraht, bis dahin vorenthalten war. Das Wetter war hervorragend und doch war diese ständige „Angst im Nacken“, den ganzen Tag lang und immer gegenwärtig. Was, wenn sie doch alle Recht haben sollten? Hatten wir das nicht jahrelang gehört? Sollten wir nicht unseren Brüdern, und insbesondere den Aposteln des Herrn und dem Stammapostel, nachfolgen? War es nicht so, dass man nur auf diese Weise bei der Hochzeit des Lammes dabei sein könnte? War es uns nicht jahrzehntelang immer wieder „eingehämmert“ worden, dass jede Sünde von Gott vergeben werden kann und wird, aber nicht die Sünde wider den Heiligen Geist? War es nicht Sünde wider den Heiligen Geist, wenn man den Brüdern nicht mehr nachfolgte? War es nicht vielmehr so, dass man nach dem NAK-Dogma sonst dem Satan auf Ewigkeit ausgeliefert sein würde? Diese bohrenden Fragen nagten in meiner Seele und machten diesen wunderschönen Maisonntag zu einem richtigen „Höllentrip“. Hatte man uns nicht immer wieder beigebracht, dass man, wenn man sich von der Schar der Gotteskinder entfernt und aus dieser schützenden Gemeinschaft flieht, ins Bodenlose fällt und damit rechnen müsste, dass einem bald „ein Dachziegel auf den Kopf fallen“ oder man anderweitig verunfallen würde? Der reguläre Wochenrhythmus trug dann dazu bei, dass ich mich allmählich beruhigen konnte. Und was soll ich sagen? Mir fiel kein Ziegel auf den Kopf, ich verunfallte auch nicht mit dem Auto und ich kam auch nicht anderweitig zu Tode.

In den darauffolgenden Wochen und Monaten fing ich langsam an, meine neu gewonnene „Freiheit“ zu genießen. Heute weiß ich natürlich, dass meine vermeintliche Freiheit von damals eine sehr trügerische war. Diese Art von vermeintlicher Freiheit läutete meine „Gottlosigkeit“ ein, die letztlich über ein Jahrzehnt andauern sollte.

Ich war komplett frustriert über „Gottes Bodenpersonal“ und wollte von alledem nichts mehr wissen! Natürlich war es äußerst schwierig, das der Familie klarzumachen. Insbesondere Mutter und Schwester klagten mir immer wieder ihr Leid, wie traurig sie darüber seien, dass ich nicht mehr die Gottesdienste auskaufen würde. Ich solle das noch mal überdenken, es sei doch alles so wunderschön in der NAK, und ich würde mein ewiges Leben für immer aufs Spiel setzen, wenn . Irgendwie konnte ich letzten Endes argumentativ doch immer parieren und später dann gelang es mir sogar, dass mich meine Familie mit diesen Fragen komplett in Ruhe ließ. Meine Frau ließ mich gänzlich in Frieden und hatte Verständnis für meine Entscheidung, was ich ihr hoch anrechne. Viele Monate später ging dann plötzlich meine Frau auch nicht mehr zum Gottesdienst. Begründung: Sie fühle sich in unserer Heimatgemeinde nicht mehr wohl, hätte keine Herzenswärme mehr gespürt und auch sonst werde sie nicht mehr sehr glücklich in dieser Gemeinde. Nun blieben wir plötzlich beide sonntags zu Hause. Dann, eines Tages, kündigte sich ein Ämterbesuch unseres (nunmehr ehemaligen) Hauspriesters mit Diakon-Begleitung an. Es war/ist in der NAK üblich, dass die Geschwister von ihren zuständigen Hauspriestern oder Diakonen in regelmäßigen Abständen Hausbesuche bekamen. Vom seelsorgerischen Aspekt her wirklich kein schlechter Gedanke, aber von Laienpredigern bzw. Laien-Ämtern, die nie seelsorgerisch ausgebildet worden sind und auch keine Schulung in Soziologie oder Psychologie genossen haben, erscheint mir das aus heutiger Sicht doch mehr als fragwürdig zu sein. Wie dem auch sei, wir hatten zu unserem damaligen Hauspriester ein durchaus vertrauensvolles Verhältnis und um hierfür ein äußeres Zeichen zu setzen, sprachen wir uns seit langem mit „Du“ an. Durch seine gütige Ausstrahlung war unser Hauspriester für uns so etwas wie eine Vaterfigur geworden. Nun also kam dieser Abend heran. Wir diskutierten hin und her und der Abend spitzte sich unheilvoll zu. Als beide Brüder uns nun ins Kreuzverhör nahmen und fragten: “Glaubt Ihr noch an Gott?“ „Ja!“ „Habt Ihr Sehnsucht nach dem Wort Gottes?“ „Nein!“ „Habt Ihr Sehnsucht nach dem Heiligen Abendmahl (bei der NAK zweigliedrig als Sündenvergebung und als Gedächtnismahl zu verstehen, dazu aber später noch mehr in diesem Buch)?“ „Nein!“ „Habt Ihr Sehnsucht nach Gemeinschaft?“ „Nein!“ - da war dann wohl alles aus. In der Regel wurde ein Hausbesuch mit einem Schlussgebet beendet. Beide Ämter standen also auf, ohne ein Gebet zu sprechen, gaben uns kalt und förmlich die Hand , sprachen uns plötzlich mit „Sie“ an, wünschten uns „Alles Gute“ und „weg waren sie“. Das war für uns durchaus erschütternd! Am meisten schmerzte eigentlich das abrupte Siezen. Ich war richtiggehend sprachlos, denn so etwas hatte ich nun überhaupt nicht erwartet. Es war beinahe so, als ob „von jetzt auf gleich“ alle Masken gefallen waren, oder war es vielleicht doch der fehlenden seelsorgerischen Ausbildung geschuldet? Ich wusste es zu diesem Zeitpunkt wirklich nicht. Viele Jahre später dann traf ich jenen Hauspriester bei Einkäufen im Supermarkt und wir duzten uns sofort wieder, als sei es nie anders gewesen. Also, in der heutigen Nachschau bin ich diesem Bruder nicht mehr böse. Es war doch absehbar, dass beide Amtsbrüder ihre „verlorenen Schäfchen“ an jenem Abend mit aller Gewalt retten wollten, auch wenn es wohl der falsche Ansatz war.

1990 war nicht nur (m)ein Jahr des vorläufig endgültigen Bruches mit der Neuapostolischen Kirche und ein absoluter Tiefpunkt in meinem persönlichen Glauben an Gott, sondern auch beruflich ein mehr als schweres Jahr. Da die kleine Kfz-Werkstatt ja aus Altersgründen aufgegeben hatte, folgten nun viele Bewerbungen. Nachdem sich kein Erfolg einstellen wollte, beschlich mich der Gedanke, dass vielleicht doch die eigene Familie und auch die Brüder der NAK Recht behalten könnten, denn ich konnte jetzt machen, was ich wollte, es würde wohl nicht der Segen Gottes darauf liegen und ich könnte nun die direkte Auswirkung meines damaligen Handelns dadurch erkennen. Oft streute sich dieser Gedanke ein, aber im Endeffekt sah ich es dann doch als letzte „Wehen der Angst- und Druckmechanismen der NAK“ an, die noch in der Seele verankert waren. Wenn man so viele Jahre so stark von einem Kirchendogma indoktriniert war, kann man das wohl nicht alles spontan abschütteln. Insgesamt ein ganzes halbes Jahr arbeitslos war ich dann aber doch und als junger Mensch fiel mir „die Decke mächtig auf dem Kopf“.

Nachdem ich seit 1988 mit dem „Eisenbahn-Virus“ infiziert war, noch im gleichen Jahr Modelleisenbahner wurde und angefangen hatte, die großen Vorbilder in allen Bahnhöfen und Betriebswerken in Berlin und Umgebung zu fotografieren (meine Homepage http://home.arcor.de/wolles-lokdepot/ zeugt heute noch davon), kam mir die Idee, wie es denn wäre, wenn ich den Anzeigenteil einschlägiger Zeitschriften durchforste und möglichst viele Modelleisenbahn-Geschäfte bundesweit anrufe, ob sie vielleicht einen Hobbyisten als Modelleisenbahn-Verkäufer einstellen würden. Gesagt, getan! Nach vielen Absagen fand ich endlich ein Geschäft, das mich einstellen wollte. Ich vereinbarte ein erstes Vorstellungsgespräch und fuhr zu diese Zweck nach Hilden (nahe Mettmann, Velbert und Düsseldorf) in Nordrhein-Westfallen. Man wurde sich handelseinig und ich konnte im Vorweihnachtsgeschäft dort anfangen zu arbeiten. Es war allerdings schwer, mich von meiner Frau zu trennen, aber die Arbeit machte Spaß, obwohl ich vorerst nicht im Hauptgeschäft arbeitete, sondern in einer Filiale in Velbert im Bergischen Land, und ich hätte mir eine spätere Festeinstellung durchaus vorstellen können. In der ersten Januarwoche des neuen Jahres durfte ich dann den ersten Tag im Hauptgeschäft arbeiten. Tags darauf dann wieder in der Filiale, die Ende Februar komplett geschlossen werden sollte. Den damit verbundenen Ausverkauf bekam ich noch vollständig mit. Danach führte der Geschäftsführer ein längeres Gespräch mit mir und resümierte meine Probezeit. Demnach würde meine Leistung für eine Weiteranstellung nicht ausreichend sein. Völlig enttäuscht und niedergeschlagen fuhr ich nach Hause. Ein wenig hatte ich auch das Gefühl, dass mich der Geschäftsinhaber nur für den vorweihnachtlichen Trubel und den Ausverkauf seiner Filiale gebraucht hatte. Ob meine Vermutung richtig war, kann ich nicht beweisen. Zumindest der Traum vom Umzug nach Hilden war nun geplatzt.

Das Jahr 1991 war erneut gekennzeichnet von langer Arbeitslosigkeit und vielen erfolglosen Bewerbungen. Erst im März 1992 sollte ich dann endlich wieder einen Job finden. Ich bewarb mich bei einem Vertragshändler von NISSAN mit angeschlossener Vertragswerkstatt. Ich wurde eingestellt und fühlte mich gleich wohl, hatte aber von Anfang an eine Widersacherin. Trotzdem war die Arbeit „cool“ und machte Spaß, und anfangs war der Chef auch sehr mit mir zufrieden. 1993 nahmen die innerbetrieblichen Querelen und Probleme allerdings massiv zu und ich musste schließlich eine betriebsbedingte Kündigung hinnehmen. Es folgte eine Phase erneuter zahlloser Bewerbungen. Irgendwann hörte ich auf, sie zu zählen.

1994, immer noch arbeitslos, ließ ich mich vom Arbeitsamt beraten und nahm eine vom Amt finanzierte Weiterbildungsmaßnahme an. Sie dauerte neun Monate und beinhaltete u.a. ein Betriebspraktikum von zwei Monaten. Die Schule war qualitativ gut und brachte mir persönlich sehr viel. Alle meine kaufmännischen Kenntnisse wurden aufgefrischt und in Sachen EDV auf den neuesten Stand gebracht. Gleichzeitig hatte man mit dem Zertifikat eine Ausbildung als DATEV-Buchhalter vorzuweisen. Ich bestand diese Fortbildungsmaßnahme mit guten Noten und das Selbstbewusstsein war wieder da. Mit diesen Noten und frischem Elan war ich dann auf dem Berliner Arbeitsmarkt wieder voll aktiv.

Als aber alle Bewerbungen trotzdem keinen Erfolg zeigten, war ich so verzweifelt, dass ich anfing, darüber nachzudenken, was ich sonst noch alles machen könnte, selbst wenn die Tätigkeit vielleicht qualitativ weit unter meiner Ausbildung als Kaufmann im Groß- und Außenhandel angesiedelt wäre. Ich überlegte mit meiner Frau in vielen Gesprächen hin und her. Schließlich kamen wir zu der denkbaren Option eines Tankstellenkassierers. Warum eigentlich nicht? Mit EDV kam ich gut zurecht, also wäre eine Computerkasse nicht das Problem, und Publikumsverkehr hatte ich ja häufig in den Kraftfahrzeugbetrieben gehabt. Kurzum: Die dritte Bewerbung war gleich ein Erfolg und ich konnte als Tankstellenkassierer in einem Familienbetrieb beim BP-Konzern anfangen. Obwohl diese Tätigkeit für mich neu und auch relativ ungewohnt war, arbeitete ich mich sehr schnell ein, allerdings war der Arbeitsvertrag voll auf Nachtschicht angelegt. Zunächst war es für meinen Biorhythmus entsprechend schwer, sich darauf einzustellen. Am Tage konnte ich nicht richtig schlafen und nachts war ich dann regelmäßig müde. Aber da ich Wechselschicht hatte, also eine Woche Nachtschicht und in der Folgewoche Tagdienst, war das Ganze erträglich und ich gewöhnte mich immer besser ein. Der Verdienst war für den Geldbeutel sogar gut, da die Nachtschichtzulage damals steuerfrei war, wenn auch schlecht für die Rente. Aber unsere finanzielle Lage nach so langer Arbeitslosigkeit entspannte sich insgesamt recht schnell. Das Betriebsklima war in den ersten beiden Jahren unter dem damaligen Pächter durchaus als sehr vertrauensvoll und gut zu bezeichnen. Es machte Spaß, unter ihm zu arbeiten, auch wenn der Körper langfristig schon unter der Wechselschicht litt. Was ursprünglich als „Lückenbüßer“ geplant war, um möglichst schnell wieder im kaufmännischen Bereich Fuß fassen zu können, entpuppte sich als vierjähriger „Dauerbrenner“. Da ich mich, nicht zuletzt auch wegen des guten Betriebsklimas, eigentlich „rundum“ wohlfühlte, bewarb ich mich dann auch nicht mehr auf dem kaufmännischen Sektor.

In dieser ganzen Zeit als Nachtschichtkassierer einer Tankstelle kam mir nie der Gedanke, die Sache mit Gott noch einmal zu „versuchen“ oder einen weiteren Gedanken an Kirchgang oder Ähnliches zu verschwenden. Vielmehr verfestigte sich die Überzeugung, dass an Kirchgang ohnehin nicht mehr zu denken wäre, da ich ja ohnehin sonn- und feiertags arbeiten musste. Weiter entfernt von Gott war eigentlich kaum noch denkbar, und das immerhin seit 1990.

Im Frühjahr 1996 gab der Pächter seine Tankstelle auf, weil er die nun verschärften Konditionen des BP-Konzerns nicht mehr zu akzeptieren vermochte und er wohl „seine Schäfchen inzwischen auch ins Trockene gebracht hatte“. Der neue Pächter, eine sehr herrische junge Frau aus der ehem. DDR, übernahm zwar alle Mitarbeiter, aber drangsalierte uns alle, und damit natürlich auch mich, nachhaltig. Das ging soweit, dass ich mich in der Nachtschicht nicht einmal für fünf Minuten Pause hinsetzen durfte. Stattdessen Öfen saubermachen, Zeitschriften remittieren, Teiglinge aus der Kühlung holen, Boden der Verkaufsfläche reinigen, um 3:00 Uhr morgens anfangen, die Teiglinge zu backen, um 4:00 Uhr kamen dann „tonnenweise“ die neuen Zeitschriften an und mussten verkaufswirksam einsortiert werden usw.. Nebenbei die ganze Nacht Kundschaft durch den Nachtschalter bedienen etc., kurz gesagt: Morgens endlich zu Hause angekommen, fiel ich um wie ein Baum… Der „Spaß“ war nun endgültig vorbei und die körperliche Anstrengung immens. Ein harter Broterwerb! Zunächst ohne Aussicht auf Änderung oder Perspektive für die Zukunft ergab ich mich vorläufig auch in dieses Schicksal.

Im Nachhinein muss man wirklich sagen, dass Gott mir in diesen vier Jahren sehr nahe war, obwohl ich von IHM nichts wissen wollte. Schließlich habe ich in diesem ganzen langen Zeitraum der Nachtarbeit keinen Raubüberfall erleben müssen. So groß ist Gottes Güte und Erbarmen! Hierzu zitiere ich aus dem AT, Nehemia 9, Vers 17: „Du aber bist ein Gott der Vergebung, gnädig und barmherzig, langsam zum Zorn und groß an Gnade, und Du hast sie nicht verlassen.“

In dieser Phase der subjektiv empfundenen Perspektivlosigkeit erschien eines Tages eine Stellenanzeige der DEUTSCHE BAHN-Tochter DB Dialog in der Berliner Morgenpost, in der zu lesen war „Stellen Sie Ihre Weichen für die Zukunft neu…DB Dialog sucht für ihre Standorte in Berlin und Saarbrücken Mitarbeiter für ihre Call-Center im Reise-Service.“

Da ich vom „Eisenbahn-Virus“ ohnehin infiziert war und meine Frau und ich sowieso schon lange aus Berlin heraus wollten, lag es auf der Hand, dass ich mich bewerbe. Nach nur einer Woche wurde ich von DB Dialog von einer netten Dame angerufen und interviewt. Das Gespräch verlief so gut, dass die Dame mir erzählte, dass es normalerweise unüblich sei, während des Interviews schon zur Einstellungsprüfung einzuladen, aber in diesem Falle war sie wohl so begeistert von unserem Gespräch, dass Sie mir mündlich die Zusage gab, zu dieser Prüfung im Call-Center-Standort am Berliner Bahnhof Warschauer Straße eingeladen zu werden. In dieser Prüfung, die insgesamt zwei Stunden dauerte, wurden dann recht viele Fragen gestellt, aber ich hatte von Anfang an ein sehr gutes Gefühl. Nach einem gereichten Imbiss mussten wir dann, nach einer schier unendlich lang erscheinenden Wartezeit, unseren Einzel-Aufruf abwarten. Als mein Name aufgerufen wurde, pochte mein Herz bis zum Hals. Zwei Herren und eine Dame sagten mir zu, mich einstellen zu wollen, allerdings hätte ich die medizinische Augenprüfung nicht bestanden. Sie schickten mich noch zu einem neutralen Augenarzt und Gott sei Dank überstand ich diese augenärztliche Untersuchung gut und konnte mich somit über einen neuen Arbeitsvertrag freuen. Noch mehr freute ich mich jedoch, endlich aus Berlin, diesem hektischen „Moloch“, herauszukommen und einen Beruf erlernen zu dürfen, der mir bestimmt liegen würde. Bis es zum Umzug nach Saarbrücken kam, musste aber noch ein halbes Jahr vergehen, denn ich hatte natürlich auch die Kündigungsfrist auf der Tankstelle einzuhalten.

In der Zwischenzeit quälte sich meine Frau, zunächst aus unerfindlichen Gründen, nur noch zu ihrer Arbeitsstelle. Eines Morgens saß sie, bereits fertig angezogen, wie ein „Häufchen Elend“ auf dem Stuhl und sagte: „Es geht nichts mehr!“ Daraufhin suchten wir unseren sehr netten und kompetenten Hausarzt auf. Der erste Verdacht auf Lungenentzündung oder Bronchitis bestätigte sich jedoch nicht. Er überwies meine Frau zum Spezialisten. Eine Woche später hatten wir dort einen Termin. Es wurde eine „Bronchoskopie“ (Lungenspiegelung) angeordnet und ich fuhr mit meiner Frau zu einer Klinik am Hackeschen Ufer in Berlin-Mitte. Sie bekam kaum noch Luft. Während des kleinen Eingriffes lief ich, wie ein „Tiger im Käfig“, im Flur auf und ab und hörte meine Frau immer wieder stark husten während dieser Mini-OP. Es war einfach nur furchtbar! Wir fuhren dann gemeinsam mit dem Taxi nach Hause und waren beide komplett erschöpft, meine Frau vom Eingriff und ich nervlich. Im Zusammenspiel mit einer später angeordneten Computertomographie diagnostizierte dann der Arzt bei meiner Frau eine „Lungenfibrose“. Das ist eine sehr heimtückische Erkrankung des Lungengewebes, das sich vermehrt zwischen den Lungenbläschen und den sie umgebenden Blutgefäßen bildet. Es gibt insgesamt 121 Ursachen, warum man an Lungenfibrose erkranken kann. Die genaue Ursache festzustellen, ist möglich, indem man beim Patienten eine sogenannte „Lungenbiopsie“ durchführt. Da meine Frau schon durch die Bronchoskopie so gelitten hatte, wollte ich ihr diesen Eingriff, der noch wesentlich schmerzhafter gewesen wäre, ersparen. In jedem Fall ist die „Lungenfibrose“ eine Erkrankung, bei der die Lungenbläschen einem vermehrten Entzündungsprozess unterliegen. Bei diesem Prozess versteift sich die Lunge und es wird mehr Kraft benötigt, um die Lungenflügel ausreichend zu belüften. Damit ist der notwendige Gasaustausch durch die Gewebevernarbung gestört und das bedeutet, dass der Sauerstoffanteil im Blut stark abnimmt. Damit sind wir dann beim „Lungenhochdruck“, auch „pulmonale Hypertonie“ genannt, angekommen, der die Folgeerkrankung der „Fibrose“ darstellt. Eine Heilung ist heute noch nicht möglich, außer man transplantiert beide Lungenflügel. Meine Frau musste nach dieser schrecklichen Diagnose zunächst umfangreich medikamentös eingestellt werden. Besonders das Cortison ist sehr gefährlich und schwemmte ihren Körper förmlich auf wie einen Ballon, war aber in diesem Anfangsstadium der Erkrankung in höherer Dosis leider unerlässlich. Eines Morgens musste meine Frau wieder zu diesem Spezialisten. Nach einer langen Nachtschicht begleitete ich sie dorthin. Ich kann mich noch daran erinnern, wie todmüde ich da neben ihr saß im Wartezimmer. Als wir an der Reihe waren, ordnete der Arzt eine weitere Computertomographie an. Ich weiß keine Details mehr, aber bei dem noch aus der Praxis geführten Telefonat mit dem radiologischen Institut zeichnete sich ab, dass die Terminierung kompliziert zu werden schien und zudem vor Ort noch Unterlagen fehlten. Außerdem sollte allein der Weg dorthin annähernd 50 Kilometer quer durch die Stadt betragen; das wäre für uns mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur mit mehrmaligem Umsteigen überhaupt möglich gewesen. Daraufhin herrschteder Arzt die Arzthelferin der Radiologie-Praxis am Telefon an:„Sie werden doch die Frau Voigt mit ihrer Krankheit nicht kreuz und quer durch die Stadt jagen wollen…?!“ Dieser Arzt war zwar wirklich cholerisch, aber in der Sache sehr kompetent und nett. ICH bekam das auch zu spüren: Als ich in diesem Gespräch beiläufig erwähnte, dass wir bald den Umzug planen, fuhr er mich barsch an: „Herr Voigt, Sie können Ihren Umzug alleine machen, sind Sie denn wahnsinnig? Ihre Frau hat ja schließlich keinen Heuschnupfen!“ So war er halt, erst ordentlich „Dampf ablassen“, aber dann war er auch wieder gut, und für meine Frau hatte er nur das Allerbeste im Sinn. Letztlich verfrachtete er uns beide sogar in seinen privaten VW Golf und fuhr uns persönlich zur Computertomographie. Welcher Arzt macht das schon?!

Was für eine aufregende Zeit war das doch. Nun war es mittlerweile soweit, dass nur noch vier Nachschichten vor mir lagen. Als ich nach der viertletzten Nacht nach Hause fahren wollte, sollte Berlin noch ein letztes Mal seine „hässliche Seite“ zeigen: Ich musste immer am kombinierten U- und S-Bahnhof Tempelhof umsteigen. Als ich an diesem Morgen auf die Plattform von der U-Bahn Ebene die Treppe herunter kam, sah ich eine Frau direkt vor dem U-Bahn-Tunnel stehen. Ein anderer Mann kümmerte sich um die Frau und fragte: „Geht es Ihnen gut? Kann ich Ihnen helfen?“ Sie winkte ab! Ich dachte mir nichts dabei, wollte nur noch nach Hause und schlafen. In dem Moment, wo der Zug in den Bahnhof einfuhr, gab es ein lautes Geräusch, Funkenflug entstand, der Zug kam zum Stehen. Das Licht fiel einen Moment lang im Zug aus; die Frau hatte sich vor den Zug geworfen, sofort tot, keine Chance! Als ich dann sah, wie der Fahrzeugführer ausstieg und in den Schienenschacht sprang, um die seitliche Stromschiene zu erden, wurde mir ganz schlecht. Ich rannte die Treppe hinauf und nahm ausnahmsweise ein Taxi. Wie ich dann, nach diesem schrecklichen Erlebnis, noch einschlafen konnte, ist mir heute noch ein Rätsel, vielleicht war es die totale Erschöpfung.

Als dann aber, zwei Tage später, die letzte Nachtschicht hinter mir lag, jubilierte ich und konnte mein Glück kaum fassen, dass ich endlich diese unangenehme Chefin und die körperliche Arbeit hinter mir lassen konnte, um hoffentlich einer wunderbaren Zukunft entgegenzugehen. Meine Frau war medikamentös inzwischen viel besser eingestellt und benötigte zu diesem Zeitpunkt noch keinen medizinischen Sauerstoff. Ich konnte sie also unbesorgt mit dem ICE und dem damaligen „Guten-Abend-Ticket“ vorausfahren lassen. Am Wochenende war ich also in Berlin „Strohwitwer“ und schaffte noch allerlei Krimskrams aus der Wohnung. Am Montag kam dann mein Schwager mit einem gemieteten LKW und einem weiteren Umzugshelfer nach Berlin, und wir packten und schufteten, so dass wir uns am Abend schon mit „Sack und Pack“ in Saarbrücken wiederfanden. Mein Schwager, der schon seit Ewigkeiten mit seiner Familie in Saarbrücken lebt, half beim Einzug in die neue Wohnung und nahm mir die anfallende Arbeit fast vollständig ab, weil ich mich am folgenden Samstag gleich im Call-Center vorstellen sollte.

Dort angekommen, konnte aber niemand mit mir etwas anfangen. Der Chef war nicht da, wie ursprünglich vorgesehen, deshalb hörte ich mal bei meinen zukünftigen Kollegen ins Telefongespräch `rein und war tief beeindruckt. Dann ließ ich mir vom dortigen Teamleiter die Fahrkarte für den ersten richtigen Arbeitstag bei „DB Dialog“ aushändigen, denn ich musste nach diesem Wochenende nach Frankfurt/Main reisen, wo die Grundausbildung für mich beginnen sollte. Nach drei Stunden „Reinschnuppern“ konnte ich nach Hause gehen und das Wochenende genießen, einfach traumhaft! Am Montag dann begann der Ernst des neuen Lebens. Ich fuhr mit dem Regionalexpress über die Nahstrecke nach Frankfurt/Main und wie es bei dem „Unternehmen Zukunft“ so üblich ist, hatte der Zug Verspätung. Mensch, war ich aufgeregt, am ersten Tag gleich zu spät? Die Zeit rannte mir weg, und wie peinlich wäre es doch, bereits am ersten Tag zu spät zu kommen?! Vorsorglich ließ ich mir auf der Rückseite der Fahrkarte die Verspätung quittieren. Nach dem Gehetze zum Ausbildungsort durfte ich dann erleichtert feststellen, dass alles nicht so schlimm war, man hatte noch nicht einmal mit der Begrüßung begonnen und die Verspätung spielte keine Rolle. Es war sehr interessant, alles kennenzulernen, und die Atmosphäre war auch sehr angenehm. Am Abend wurden wir dann alle in einem Hotel untergebracht. Gleich am ersten Tag hatten wir in unserer Gruppe ein prima Verhältnis und verstanden uns alle so prächtig, dass wir abends noch gemeinsam durch Frankfurt streiften und uns ein schönes Restaurant suchten. So ging das die ganzen sechs Wochen weiter. Wir waren eine „dufte“ Clique, wie der Berliner sagen würde. Unser Dozent war auch „schwer in Ordnung“ und für uns schon fast eine Vaterfigur. Gleich beim ersten Restaurantbesuch saßen wir gemütlich draußen an einer Hauptstraße, von wo aus man den Blick zu einer Hauptgemeinde der Neuapostolischen Kirche hatte. Irgendwie war ich berührt und machte mir so meine Gedanken. Es schien, dass die fremde Umgebung und die völlig neue Lebenssituation seichte Impulse zum Nachdenken auslösten. Jedenfalls beobachtete ich mich dabei, wie ich mich im Hotelzimmer niederkniete und wieder anfing, zu Gott zu beten. Ein kleiner zaghafter Anfang schien gemacht.

KAPITEL 4

…eine Chance für die NAK?

In beruflicher Hinsicht war schon die Zeit der Ausbildung eine Phase, in der die Seele zur Ruhe kam. Endlich konnte ich mal durchatmen. Auch so etwas wie ein regelmäßiges Gebetsleben kam wieder in Gang. Ich spürte Gott gegenüber eine große Dankbarkeit, dass ich diesen tollen Job finden durfte. Aus dieser Dankbarkeit heraus verfestigte sich immer mehr der Gedanke, die Gottesdienste der NAK fortan wieder zu besuchen. Aber zunächst stürzte ich mich auf die Ausbildung und auf die neue Firma. Nach erfolgter Ausbildung in Frankfurt am Main wurde unsere „Clique“ auseinandergerissen, jedoch arbeiteten zwei Frauen aus dieser Gruppe mit mir im Standort Saarbrücken weiter. Wir tauschten uns oft aus und pflegten ein sehr gutes kollegiales Verhältnis, was ja bisher für mich absoluten Seltenheitswert im beruflichen Leben hatte. Auch mit den anderen ca. 100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Call-Center verstand ich mich prima. Die „Neuen“ bekamen für das Telefonieren mit der Kundschaft für ca. drei Wochen einen Paten oder eine Patin an die Hand. Ich hatte das Glück, eine sehr nette Patin erwischt zu haben. Mit meinem zugewiesenen Teamleiter und auch mit dem Call-Center-Chef kam ich auch bestens zurecht. Mir kam das alles vor wie eine Vorstufe zum Paradies. Am 16. August 2000 war es dann soweit: Ich telefonierte das allererste Mal mit der Kundschaft ohne Hilfe. Es war beinahe so, als ob ich für den Job geboren worden war; es machte Spaß, das Umfeld war Klasse und die Kunden und Vorgesetzten waren alle mit mir zufrieden. Das steigerte sich dann noch, als in einer Teambesprechung der Call-Center-Chef, in Gegenwart der gesamten Belegschaft des Reise-Services, sagte: „Wir dürfen dankbar sein, dass wir den Herrn Voigt für uns gewinnen konnten, er hat eine tolle Art, mit den Kunden umzugehen“. Mich überkam eine Gänsehaut nach der anderen, das ging runter wie Champagner und das Bemerkenswerte war noch, dass dies genau an meinem Geburtstag geschah. Das war mein schönstes Geburtstagsgeschenk; danach brauchte ich keine materiellen Geschenke mehr!

Im Frühjahr 2001 war es dann soweit, dass man erkannte, dass mein Potential im Reise-Service noch nicht ausgeschöpft war. Ich durfte eine Etage höher aufsteigen und in der Mobilitäts-Service Zentrale arbeiten. Die Mobilitäts-Service Zentrale (kurz: MobiServ) ist bundesweit zuständig für die Bereitstellung und Koordinierung von Umsteigehilfen für Reisende mit Handicap. Ich konnte mich eine Woche in die behindertengerechte Spezifika einarbeiten und betreute dann die behinderten Menschen, organisierte die Umsteigehilfen für geh- und sehbehinderte sowie ältere Menschen, verkaufte die entsprechenden Fahrkarten und reservierte Rollstuhlstellplätze oder Sitzplätze in den Zügen. Das war eine sehr beratungsintensive und deshalb viel spannendere Aufgabe als im Reise-Service. Ich fand mich schnell zurecht und diese Arbeit machte mir viel Freude. Drei Jahre später kam noch das Projekt „Kids on tour“ für allein reisende Kinder bei der Bahn dazu.

In der Zwischenzeit bekam meine Frau 24 Stunden täglich flüssig-medizinischen Sauerstoff und das Krankengeld konnte auslaufen. Im Oktober 2001 wurde ihr, fast als letzte Person, noch die sogenannte Erwerbsunfähigkeitsrente zugestanden. Das war ein Segen, weil es dabei etwas mehr Geld als bei der Erwerbsminderungsrente gibt.

Nun begann ich, zunächst fast regelmäßig, später jedoch wesentlich unregelmäßiger, die Gottesdienste der NAK zu besuchen. Es waren ja alle mit von der Partie: Meine Frau, mein Schwager (Priester in der Hauptgemeinde), meine Schwägerin und die beiden Neffen. Rein organisatorisch war es also sehr einfach, da wir im Auto immer mitgenommen wurden. Es waren durchaus Gottesdienste dabei, wo ich anschließend eine Art Seligkeit verspürte, aber das war eher die Ausnahme. Im Hinterkopf hatte ich immer das Gefühl, dass ich mich besonders engagieren sollte, denn Gott hatte mir ja diesen tollen Job geschenkt und schon aus Dankbarkeit solle ich das machen. Dieser Gedanke verfestigte sich in meiner Seele zusehends. Erst jetzt, nach deutlich zeitlichem Abstand, sehe ich das Ganze natürlich völlig anders. Denn nur aus Dankbarkeit heraus die Gottesdienste zu besuchen, ist kaum die richtige Herangehensweise und Einstellung. Damit meine ich jetzt noch nicht einmal die Konfessionszugehörigkeit, sondern eher das direkte Verhältnis von Mensch zu Gott. Bis zum Jahr 2005 besuchte ich zwar noch die Gottesdienste der NAK, aber eher seltener. Einerseits war mir die gewonnene Freizeit am Sonntag wichtiger und anderseits konnte ich den Predigtinhalten immer weniger Substanz entnehmen (viel später sollte sich herausstellen, warum das so war.). Diese Entwicklung führte dazu, dass ich zunehmend weniger Verlangen nach dem Wort in der dargereichten Form der neuapostolischen Predigt verspürte. Auf der anderen Seite führte diese Entwicklung auch dazu, dass ich mich nur noch zu besonderen Anlässen, wie zum Beispiel einem Aposteldienst in der Gemeinde oder zu einem Stammapostel-Übertragungs-Gottesdienst in der NAK „blicken“ ließ. Allerdings führte es nicht dazu, dass meine Seele anfing, das Dogma der NAK und die Lehre dieser Kirche plötzlich in Frage zu stellen. Von solchen Gedanken war ich zu diesem Zeitpunkt noch Lichtjahre entfernt.

Ich weiß schon gar nicht mehr, in welchen Jahr es genau war (entweder in 2003 oder 2004), als ich einem Stammapostel-Festgottesdienst aus Kapstadt (Südafrika) via Satelliten-Übertragung beiwohnte. Es war noch derselbe Stammapostel im Amt wie damals in 1990 bei der Bildübertragung aus Wien. Der Gesang war schön, was ja auch kein Wunder ist, denn dreiviertel aller NAK-Kirchen- und Chorlieder sind jesuszentriert (eigenartigerweise), und die Predigt war eigentlich auch gar nicht so schlecht, aber trotzdem: Meine Seele spürte da etwas, ich konnte es nicht richtig differenzieren und einordnen, aber irgendetwas stimmte da nicht mit dieser Kirche... Es war diesmal viel mehr als nur reine Opposition. Jetzt war es auf eine diffuse Art viel tiefgründiger. Die Seele wurde von diesem Gedankengang fürchterlich erschüttert. Nach dem Gottesdienst rannte ich als erster aus dem Kirchengebäude, denn ich wusste ja, dass meine Frau mit dem Fahrservice gut versorgt war. Auf dem Heimweg war ich schon in Tränen aufgelöst. Ich wusste zwar nicht, was an dieser Kirche falsch ist, aber die Seele spürte es trotzdem und brach gefühlsmäßig durch. Zu Hause angekommen, hämmerte ich mit dem Kopf immer wieder gegen den Schlafzimmerschrank, mit den Worten: „Ich begreif es nicht, ich begreif es nicht, ich begreif es nicht!“. Nach diesem Anfall und Weinkrampf fragte ich mich ernsthaft: „10 bis 11 Millionen neuapostolische Christen weltweit können doch unmöglich irren? Warum tue ICH mich so schwer und fange an, das Ganze in Frage zu stellen? Was ist mit mir los? Warum bin ich in glaubensmäßigen Dingen so begriffsstutzig und schwerfällig?“. Alle diese Gedanken und Fragen schwirrten mir im Kopf herum und machten diesen Sonntag zu einem echten „Schwarzen Sonntag“. Nach diesem Tag besuchte ich fast ein ganzes Jahr lang keine Gottesdienste mehr. Der letzte Gottesdienst, dem ich beiwohnte, war der Stammapostel-Festgottesdienst im Jahre 2005 aus Fellbach, wo jener Stammapostel, der mir so viele Rätsel aufgab, in Ruhe gesetzt wurde und sein Nachfolger im Amt eingesetzt worden ist. Auch dieser Mann konnte mich in der Predigt kaum überzeugen, aber ich hatte zumindest keine persönliche Antipathie gegen ihn. Aber Fakt blieb dennoch, dass mich das alles in keiner Weise im Glauben nach vorne gebracht hat.

Während dieser Jahre der zaghaften Gottesdienstbesuche war ich weiterhin beruflich glücklich und erfüllt, zunächst jedenfalls. Im Sommer 2003 kam dann der erneute „Paukenschlag“: DB Dialog plante, aus Rationalisierungsgründen bis zu 10 Standorte bundesweit zu schließen, darunter auch Saarbrücken. Der genaue Zeitpunkt der Schließung war jedoch recht schwammig und unklar. Trotzdem war es für mich ein Schock. Sollten die beruflichen Sorgen etwa wieder losgehen? Man könnte ja geneigt sein zu denken, dass man sich daran gewöhnen kann, aber ich gewöhnte mich nie an Arbeitslosigkeit und Bewerbungsmarathon. Es war immer eine von Sorgen und Zukunftsangst erfüllte Zeit. Inzwischen kristallisierte sich heraus, dass der Standort Saarbrücken wohl doch das nächste halbe Jahr gesichert sei. Das bestätigte sich letztlich auch. Die Unruhe war trotzdem in der Seele. Im Februar 2004 war schließlich klar: Im August ist endgültig Schluss! Daraufhin kamen dann eigens noch die Leute aus Schwerin, wo „MobiServ“ letztlich hinkommen sollte, zur Einarbeitung in die spezielle Materie. Das war für mich eine ganz besonders harte Zeit, jene Mitarbeiter freundlich einzuarbeiten, die den Job, den man noch selbst bekleidet, bekommen sollten. Das ging bei mir persönlich an die nervliche und seelische Belastungsgrenze. Als dann im August 2004 die Abschiedsparty gegeben wurde, war mir so gar nicht zum Feiern zumute. Ich hatte mit großen Weinkrämpfen zu kämpfen und konnte mich kaum beruhigen. Nun war ich also meinen „Traumjob“ nach nur vier Jahren wieder los und die Zeit der Arbeitslosigkeit begann erneut. Eine Anwältin half dann noch, mit „DB Dialog“ eine Abfindung auszuhandeln, die höher lag, als der Arbeitgeber ursprünglich zahlen wollte, und wir konnten darüber hinaus erreichen, dass ich ein Arbeitszeugnis mit der Note „sehr gut“ erhielt, was ich mir meiner Meinung nach allerdings auch verdient hatte.

Nun habe ich für die Jahre 2000 bis 2005 beschrieben, wie es in Glaubensdingen und im Beruf bei mir weiterging. Das war aber noch längst nicht alles! Meiner Frau ging es gesundheitlich schlechter, obwohl sie jetzt 24 Stunden Sauerstoff bekam und medikamentös gut eingestellt war. Im Frühjahr 2002 bekam sie auf ihre Fibrose noch eine zusätzliche Lungenentzündung. Das war eine lebensbedrohliche Situation. Ich dachte wirklich, jetzt würde es zu Ende gehen. Nach achtwöchigem Krankenhausaufenthalt konnte sie aber entlassen werden.

Inzwischen war es hauptsächlich der Wunsch ihrer Schwester und auch von mir, sie auf die Liste für eine Transplantation beider Lungenflügel in Leyden (Holland) von „Eurotransplant“ aufnehmen zu lassen. Mein Wunsch war deshalb so stark gewachsen, weil ich bei vielen Untersuchungen auf den Fluren der Stationen Menschen gesehen hatte, die die doppelte und dreifache Dosis an Sauerstoff benötigten wie meine Frau und ganz blass und todelend aussahen. So sollte meine Frau nicht enden, dachte ich bei mir. Außerdem wusste ich ja, dass es medizinisch keine andere Option gab und ich wusste außerdem, wie heimtückisch diese Krankheit in Wirklichkeit ist. Da meine Frau nun in diese Liste aufgenommen wurde, mussten jetzt ihre Zähne generalüberholt werden. Alles an Amalgam, Quecksilber und anderen Metalllegierungen musste raus, also eine komplette Extraktion der Zähne stand an. Dies geschah im Sommer 2003. Als ich nach der OP in den Aufwachraum durfte, sah ich meine Frau blutüberströmt, es war furchtbar! Ich habe in diesem Moment zu Gott gebetet, warum er das bei meiner Frau zulässt, hätte er es doch bei mir gemacht, dann müsste meine Frau jetzt nicht so viel leiden. Diesen Anblick sollte ich nicht vergessen. An diesem Abend konnte ich mich erst in einem Restaurant bei Essen, Bier und einem Schnaps einigermaßen beruhigen. Abends rief mich meine Frau noch aus dem Krankenhaus an, und ich war ganz verdutzt, dass sie schon wieder sprechen konnte, und alles war wieder gut und ich war sehr beruhigt. Die nächsten Wochen waren bei ihr dann durch flüssige Ernährung gekennzeichnet. Als unser Kontingent an Joghurt, Brei, Haferflocken, Müsli mit Milch so langsam erschöpft war, hatten wir beide große Lust, beim Chinesen Essen zu bestellen. Wir orderten „Ente kross süßsauer mit Reis“. Anschließend „jagte“ ich für sie alles durch den Mixer. Es schmeckte zwar, aber es sah aus wie Baby-Brei…, na dann: Guten Appetit! Später bekam sie ein gut angepasstes Gebiss und dann war für sie auch diese Etappe geschafft.

Ein Jahr später, auch im Hochsommer, wunderten wir uns, weshalb „mein Frauchen“ keine Kraft mehr hatte und den ganzen Tag im Bett lag. Der Arzt wies sie wieder in die Uniklinik in Homburg/Saar ein. Dort stellte man bei ihr einen Eierstockkrebs im Frühstadium fest und dieser Krebs fraß praktisch die ganzen Eisenreserven des Körpers auf, so dass sie entsprechend kraftlos wurde. Nun wurde eine Totaloperation durchgeführt, in der ihr die Gebärmutter, die Eierstöcke, der Blinddarm und das Bauchnetz entfernt wurden. Gott sei Dank hatte der Krebs noch nicht gestreut und meine Frau konnte sich insgesamt innerhalb von acht Wochen gut erholen. Auch wieder viele Sorgen und die Befürchtung, es könnte zu Ende gehen mit ihr, aber Gott war mit ihr und ihre Lebenszeit war noch nicht abgelaufen.

Exakt wiederum ein Jahr später - ich bezog schon das Arbeitslosengeld I - erkrankte sie an einen Pilz, der „ganz normal“ in der Luft liegt, für uns gesunde Menschen völlig harmlos ist, aber für meine Frau eben nicht. Es sollten wieder acht bange Wochen in der Uniklinik in Homburg werden. Ich hatte auch da wieder die Sorge, dass es tödlich enden könnte, was keineswegs abwegig war, aber Gott hatte andere Pläne. In all den Wochen in 2004 und 2005 war ich eigentlich ein ständiger Pendler zwischen Homburg/Saar und Saarbrücken. Erst viel später merkte ich körperlich und seelisch, was ich mir da eigentlich abverlangt und geleistet hatte. Aber sehr erfreulich war nun, dass sich meine Frau letztlich sehr gut erholte. So waren nun die Jahre von 2003 bis 2005 mit drei großen Belastungen für mich ausgefüllt: Zum einen die große Unsicherheit im Glauben, dann die ständigen Sorgen um meine Frau sowie die erneuten beruflichen Probleme.

KAPITEL 5

Der Tiefpunkt

Während ich in 2003 noch im Call-Center arbeitete, fing ich zeitgleich an, mich zu bewerben, nachdem erste Gerüchte über die Schließung des Saarbrücker Standortes aufgekommen waren. Nach der endgültigen Schließung im August 2004 habe ich meine Bemühungen dann massiv intensiviert. Seinerzeit glaubte ich noch, dass ich mit meinen guten Arbeitszeugnissen von Tankstelle und „DB Dialog“ nicht lange arbeitslos bleiben würde. Aber weit gefehlt: Der Saarbrücker Arbeitsmarkt ist bei weitem nicht so groß wie in Berlin und was die Call-Center anging, handelte es sich meistens um Jobs im Outbound-Bereich (Kundenakquise, also kein Inbound wie bei der Bahn, wo die Kunden selbst anrufen), die zudem oft noch unterbezahlt angeboten wurden. Auch zeigte sich im Laufe der Zeit, dass der Umstand, dass ich ja inzwischen mehr als acht Jahre nicht mehr im kaufmännischen Bereich gearbeitet hatte, für meine Bewerbungen auch nicht gerade förderlich war. Es wäre jetzt müßig, an dieser Stelle alle Einzelheiten zu berichten; ich erinnere mich nur noch daran, dass mein Selbstwertgefühl und meine Hoffnung von Absage zu Absage sanken. Außerdem erhielt ich nach einem persönlichen Vorstellungsgespräch eine besonders schmerzhafte Absage. Als ich Tage später an meinem letzten Arbeitsplatz vorbei lief, überkam mich ein regelrechter Weinkrampf. Ich kam einfach nicht über den Verlust meines „Traumjobs“ hinweg und brauchte die gesamte Woche, um mich seelisch wieder einigermaßen zu stabilisieren.

Im Februar 2006 erhielt ich nun das erste Mal Hartz IV, da mein Arbeitslosengeld nach eineinhalb Jahren ausgelaufen war. Die „ganze Wucht“ dieser Auswirkungen bekam ich finanziell recht schnell zu spüren. Meine persönliche Einstellung veränderte sich dergestalt, dass ich inzwischen auch bereit war, mich bei Leiharbeitsfirmen zu bewerben. Als aber auch das, bei einer im Grunde ganz hoffnungsvollen Geschichte, nicht klappen wollte, konnte ich nicht mehr! Ich war am Ende meiner Kräfte! Das äußerte sich in kompletter Kraft- und Antriebslosigkeit und ich hatte große Mühe, die Aufgaben, die im Haushalt anstanden, zu erledigen und auch meine Frau mit allem zu versorgen. Es ging nun soweit, dass ich tagelang apathisch, in Gedanken versunken und übernächtigt, im Bett lag und zu nichts mehr fähig war. Ich dachte nur noch: Einschlafen und nie wieder aufwachen! Das waren die ersten Suizidgedanken meines Lebens. Als sich die Situation im Sommer immer mehr zuspitzte und der Leidensdruck kaum mehr auszuhalten war, beschloss ich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, und suchte mir einen Psychiater. Dieser „Seelen-Profi“ diagnostizierte recht schnell ein „Burn-Out-Syndrom“ und andere psychische Erkrankungen; daher also meine ständige Müdigkeit und das Gefühl, völlig „ausgebrannt“ zu sein. Nun, das war für mich zunächst schon ein Schock, den es zu verarbeiten galt. Aber ich wusste nun endlich, woran ich war. Viele Gesprächstherapien folgten, die mir sehr gut taten. Zunächst wurde erreicht, dass meine passiven Suizidgedanken in den Hintergrund traten; später dann, nach ca. einem Jahr, wurde erfolgreich das „Burn-Out-Syndrom“ bekämpft. Das bedeutete, dass ich wieder in der Lage war, den Haushalt zu führen und mich auch, so wie notwendig, um meine Frau zu kümmern. Inzwischen schrieben wir das Jahr 2007.

KAPITEL 6

Aufbruch zu neuen Ufern...

Da ich nun selbst erkannt hatte, dass ich in vielen Situationen des Lebens an meine körperlichen und seelischen Grenzen stieß, kam bei mir ein Gedanke auf, der durchaus epochale Veränderungen in meinem Leben nach sich ziehen sollte. Schnell war mir klar: In Sachen Beruf kannst du kaum etwas verändern; aber in einem Punkt kannst du etwas ändern: Du kannst versuchen, das Problem „Glaube/Kirche/Religion“ aufzuarbeiten. Seit diesem ominösen Gottesdienst 1990 aus Wien war ja in meinem Herzen doch eine große Problemverdrängung entstanden. Meine Sehnsucht, dieses Problem umfassend anzugehen, wurde immer größer.

In der Nachschau war mir Gott in dieser Zeit besonders nahe und gnädig, obwohl ich diese Nähe in meinem Herzen noch nicht empfinden konnte. Erst einmal war der Drang da, das Thema „Neuapostolische Kirche“ endlich in den Griff zu kriegen, nachdem die sporadischen Gottesdienstbesuche von 2000 bis 2005 für mich keinen Seelengewinn gebracht hatten. Seitdem wir im Saarland lebten, kam ein sehr netter, aufgeschlossener Bruder aus der NAK-Hauptgemeinde für seelsorgerische Besuche zu uns nach Hause. Er war wirklich „schwer in Ordnung“ und es entwickelte sich in den Jahren so etwas wie eine Freundschaft. Wir sprachen dann oft über den Glauben, und er versuchte, mich in diesen Jahren auch seelisch zu festigen. Als dann irgendwann im Jahre 2007 wieder ein Besuch stattfand, sollte die Sache aber doch etwas anders verlaufen als sonst. Monate vorher hatte ich angefangen, mich intensiv mit einer Internetseite auseinanderzusetzen, die sich - intensiv und kritisch hinterfragend - mit der Lehre der NAK befasste. Diese Seite („nak-info“-siehe auch in der LINKLISTE) gefiel mir sehr gut und machte auf mich auch einen seriösen Eindruck. Ich vertiefte mich immer mehr in diese Materie und mir war klar, dass die Autoren Recht hatten. Im Laufe des Abends erwähnte ich gegenüber meinen Gesprächspartner diese Internetseite. Daraufhin entgegnete er sofort: „Was da alles im Internet steht, kann man sowieso nicht ernstnehmen.“ Von dieser Antwort schon etwas befremdet und irritiert, fuhr ich fort und wies darauf hin, dass dort eindeutig erklärt würde, dass das neuapostolische Apostelamt nicht heilsnotwendig sei und es sich bei den Aposteln der NAK um „falsche Apostel“ handeln würde. Spätestens an diesem Punkte war dann Schluss mit der gewohnten Gemütlichkeit und Toleranz. Der Bruder meinte: „ Da hört ja alles auf! DIE können viel schreiben, wenn der Tag lang ist; das müssen DIE erst einmal beweisen. Da kann man mal sehen, was im Internet manchmal für ein Unsinn steht. Dann sind ja alle meine Bemühungen, Dich, Wolfgang, zum Glauben zu bringen, umsonst gewesen!?“ In diese Kerbe „haute“ dann auch meine Frau. Ich will es kurz machen und nicht jedes Detail dieses unrühmlichen Abends erzählen. Letztlich war es beider Seiten Geschick zu verdanken, dass auch dieser Abend mit dem gewohnten Schlussgebet enden konnte, allerdings diesmal ohne Bibelaufschlagen und sich in den Armen liegend. Dennoch war jener Abend für mich die “Initialzündung“, künftig noch mehr zu forschen.

Es war ein heißer Sommertag und meine Frau wurde von einer Freundin zum Schwimmen mitgenommen mit Rollstuhl, Sauerstoff und allen Schikanen. Ich war also alleine, baute mein nagelneues Laptop auf, rief die Internetseite auf und legte die Lutherbibel (rev. Fassung von 1984, durch die Bibelgesellschaft Stuttgart genehmigt) daneben. Diese besagte Website hatte nun über 60 Seiten. Damit war klar, dass ich vom Aufwand her nicht alles überprüfen konnte. Aber an wichtigen Schlüsselstellen schlug ich die dort angegebenen Bibelstellen auf und überprüfte die Richtigkeit der Ausführungen. Nach ca. 10 Stellen war mir klar, dass die Internetseite Recht hatte und der NAK-Bruder und meine Frau eben nicht. Aber darum ging es mir vordergründig gar nicht, wer nun Recht hatte und wer nicht. Ich hatte vielmehr das Gefühl, auf dem richtigen Weg meiner Nachforschungen zu sein. Für mich war zu diesem Zeitpunkt schon eines klar: Die neuapostolischen Apostel waren für mich falsche Propheten und schon gar nicht heilsnotwendig, so wie es die NAK behauptete. Denn wie sollte dann folgendes Bibelwort aus dem ersten Timotheusbrief im 2. Kapitel, Vers 5, Gültigkeit behalten, in dem steht:

Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.

Worauf sollte denn nun der Glaube ruhen, wenn die Bibel nicht mehr Grundlage des Glaubens ist und durch ein Kirchendogma bestimmte Bibelverse ad absurdum geführt werden? - so mein damaliger Gedanke.

Ich kniete mich hin und betete zu Gott um Weisheit.

Auch in anderen Passagen verhielt es sich ebenso, d.h. dass sämtliche Praktiken der NAK als „falsche Lehren“ entlarvt wurden. Das Wort aus dem Timotheusbrief ging mir nicht mehr aus Kopf und Seele. Es sollte für mein weiteres Glaubensleben von richtungsweisender Bedeutung werden. Alle weiteren Nachforschungen stellte ich diesem Wort gegenüber und sie mussten dieser Bibelstelle standhalten, weil ich dieses Wort im Glauben ergriffen hatte und tief im Herzen verankern durfte!

Später dann lud ich meinen ganzen „Frust“ in einem Forum für NAK-Aussteiger ab. Meine ersten beiden Beiträge kann man im „Quo Vadis NAK?“–Forum unter dem Thread „Wer bin ich?“ unter der Überschrift „5 Jahrzehnte umsonst gelebt – oder Mut zum Aufbruch? Teile I u. II“ nachlesen. Knapp 5000 User lasen meine Berichte und die ersten Reaktionen waren sehr tröstend und ermutigend und halfen mir zunächst auch weiter. Auf dieser Forumsplattform stellte der Betreiber sehr gute Original-Dokumente zur Verfügung, so dass ich dann auch die Möglichkeit hatte, in ganz spezielle Themen der NAK tiefer einzudringen. Diese Themen sind unter anderem:

1.) Allgemeine Informationen zur NAK

2.) Historie

3.) Das neuapostolische Apostolat und die Überbetonung des Kirchenamtes

4.) Die Botschaft vom ehem. Stammapostel Bischoff

und die daraus resultierende Spaltung der NAK bis hin zum Ausschluss

vom Stammapostelhelfer Peter Kuhlen

5.) Das Entschlafenenwesen

6.) Der Mythos vom 4. Buch Esra

7.) Historisch belegtes Verhalten der NAK während Nazideutschlands und des SED-Regimes

8.) Ausblick

Auf der STARTSEITE meiner Homepage bin ich nun auf diese acht Punkte im Einzelnen eingegangen. Sie entsprechen weitestgehend dem ehemaligen 7. Kapitel meiner Biografie. Diese Punkte, um deren ständige Aktualisierung ich bemüht sein werde, sollen unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung über die NAK im Fokus dieser Website stehen.

Es lohnt sich, meine STARTSEITE zu lesen, um wirklich begreifen zu können, wie sehr sich eine Kirchengemeinschaft von dem Wort Gottes, in Form der Bibel, immer weiter entfernt und sich auch selbst immer mehr ausgrenzt, so dass sogar einige stark regional begrenzte GAST-Mitgliedschaften im ACK in Gefahr geraten, wie unlängst das aktuelle Beispiel in Hannover-Mitte zeigt (Quelle: CiD). Dabei will ich hier keinesfalls eine Art „Rachefeldzug“ gegen die NAK führen. Das wäre völlig fehl am Platze. Obwohl es ein sehr langwieriger und auch schmerzhafter Prozess für mich war, weiß ich den einzelnen gläubigen neuapostolischen Christen sehr wohl vom Dogma der Kirchenführung und deren Repräsentanten zu unterscheiden. Dennoch finde ich es mehr als wichtig, vor dieser kirchlichen Sondergemeinschaft zu warnen. Aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern eher faktenorientiert.

KAPITEL 7

Der Durchbruch

Als nun meine Nachforschungen über die NAK ihren Höhepunkt erreichten und ich auch noch begann, in anderen Foren Mitglied zu werden und Beiträge zu verfassen, wurde mein Wunsch immer größer, auch offiziell einen Schnitt zu machen. Gesagt, getan: Am 14.08.2007 erklärte ich vor dem Standesamt Saarbrücken meinen Austritt aus der NAK. Anschließend ging ich zur Feier des Tages noch in ein nettes Café und ließ es mir bei Kaffee, Kuchen und einem anschließenden Gläschen Sekt so richtig gut gehen. Von diesem Ereignis berichtete ich dann frisch im Forum „Quo Vadis NAK?“ Viele sogenannte „Freunde“ wollten mit mir an diesem Tage anstoßen… Es tat gut, dass meine Aktion positive Bestätigung fand. Im Herzen war es mir nun auch leichter, weil es auch nach außen hin ein deutliches Zeichen war, das ich gesetzt hatte. In der Zwischenzeit jedoch wurde die Atmosphäre im Forum „Quo Vadis NAK?“ immer unerfreulicher. Das hatte vielerlei Gründe, auf die ich im Hinblick auf die Einhaltung der Diskretion nicht näher eingehen möchte. In der Nachschau und mit ausreichendem Abstand denke ich auch, dass Fehler auf beiden Seiten gemacht worden sind. Als mein Online-Freund und ich feststellten, dass dieses Forum zwar für den Anfang gut und hilfreich war, um die Aussteiger-Problematik besser für sich bewältigen und verarbeiten zu können und auch genügend Informationsmaterial zur Verfügung stand, wir jedoch beide mehr und mehr das Gefühl hatten, dass kein Segen Gottes mehr darauf lag, beschlossen wir, aus diesem Forum auszusteigen. Wir tauschten unsere privaten E-Mail-Adressen aus und hielten weiterhin sehr engen Kontakt.

Inzwischen erfuhr mein Gebetsleben eine gewisse Regelmäßigkeit. Gut war zweifellos auch, dass meine liebe Frau gesundheitlich sehr stabil war, kein Krankenhaus, exzellente medikamentöse Einstellung, alles war gut! Auch in dieser Zeit, so wie die ganzen Jahre zuvor, tat mir eine Freundschaft sehr gut, die auf einem gemeinsamen Eisenbahn-Hobby basierte. Ich lernte meinen Freund im Jahre 2002 kennen und schätzen, als wir beide einen Dampflok-Besuch im Saarbrücker Hauptbahnhof auf Fotos festhalten wollten. Dabei lernten wir uns nicht nur kennen, sondern auch schätzen. Es folgten viele gemeinsame Fototouren, u. a. am Rhein, und diese Ausflüge und gemeinsamen Unternehmungen taten mir sehr gut und halfen auch, so manch schwierige Situation etwas abzudämpfen und zu kompensieren. So auch in 2007, wo wir beide für eine Woche in die Schweiz fuhren (ich hatte noch Erspartes aus einer Lebensversicherung, die ich den Hartz IV-Gesetzen im erlaubten finanziellen Rahmen vorher entzogen hatte). Es war eine grandiose Reise, obwohl das Wetter hätte besser sein können. Aber wie gesagt, so manche schwere Stunde wurde durch diese „Highlights“ wesentlich erträglicher. Irgendwie spürte ich während des gesamten Schweiz-Aufenthaltes, auch bedingt durch die atemberaubend schöne Landschaft, das tolle Essen und die gepflegte Atmosphäre rund um die Rhätische Eisenbahn (Glacierexpress, Bernina Express etc.) eine verstärkte geistig-seelische Inspiration, was dazu führte, dass ich mich abends im Pensionszimmer hinkniete und lernte, noch intensiver zu Gott zu beten und IHM zu danken! Es gelang mir in dieser „Urlaubsphase“ auch, die NAK mehr und mehr in den seelischen Hintergrund zu drängen. Einzig und allein das Wetter war, wie gesagt, nicht so schön…

Als mich dann der Alltag wieder hatte, intensivierte ich den Mailverkehr mit meinem Online-Freund. Wir tauschten viele Gedanken zum Glauben aus und hatten einen sehr regen Kontakt. Eines Tages schlug dieser Freund vor, doch mal das Buch „40 Tage, Leben mit Vision“ vom bekannten Bestseller-Autor Rick Warren (berühmter Pastor im US-Bundesstaat Kalifornien und Gründer der Saddleback Church) gemeinsam durchzugehen. Zunächst war ich mehr als skeptisch, aber irgendwie ließ ich mich dann doch noch „breit- schlagen“.

Ich vergleiche das Buch mit einem „Glaubenslernkurs für Anfänger“ oder - wie die „Freikirchler“ sagen würden - einem ALPHA-Kurs. Die Bezeichnung ist egal, jedenfalls war es, auf hohem Niveau bei null anfangend, jeden Tag sich steigernd, extrem anstrengend und tiefgehend, also wirklich kein Roman, aber sehr empfehlenswert! Zu jedem Tag, den wir beide „durchnahmen“, konnte nun der andere seine persönlichen Gedanken einflechten, und wir tauschten uns auch im Weiteren eingehend dazu aus. Es war eine sehr intensive Zeit, und ich näherte mich durch diese Erfahrung auch dem Punkt, Gott besser verstehen zu können. Immerhin war in meinem Hinterkopf durch jahrzehntelange Indoktrination fest „eingebrannt“, dass Gott für mich persönlich ein „Angst-Gott“ war. Die Dinge entwickelten sich positiv und fingen an zu „fließen.“ Trotzdem war ich sehr zufrieden, als das Buch durchgearbeitet war, denn es war doch mehr als anstrengend. Die Mühe hatte sich jedoch wirklich gelohnt und ich würde es jedem empfehlen, der Gott „richtig“ kennenlernen will. Das Buch von Rick Warren ist hier sozusagen eine „Startausrüstung“.

KAPITEL 8

Eine „neue Heimat“

Wir schrieben nun das Jahr 2008 und ich hatte bereits wieder ein intensives regelmäßiges Gebetsleben. In der Bibel las ich noch nicht; das wurde mir ja auch früher nicht beigebracht, und ich hatte auch kein Verlangen und keinen äußeren Impuls, in der Heiligen Schrift zu lesen. Trotzdem fühlte ich mich seelisch immer besser und dann kam etwas dazu, was mit dem Lernen des etwas „anderen“ Abendmahlverständnisses zu tun hat. Das Abendmahlverständnis der NAK habe ich ja bereits auf meiner STARTSEITE erläutert. In diesem Bereich musste ich nun ganz zentral und komplett das Umdenken erlernen. Ich betete abends zum Vater aller Väter und bekannte ganz konkret und ungeschminkt meine Sünden vor Gott und dass ich Besserung geloben würde für die Zukunft; das alles ganz ehrlich, kindlich und aufrichtig, und dann rief ich die Trinität Vater, Sohn und Heiliger Geist auf und ich betete weiter, dass ich nun am Tod von Jesus Christus Anteil bekäme, an seinem verschmachteten Leib am Kreuz und an seinem vergossenen Blut. Als ich dann das AMEN sprach, war ich in Tränen aufgelöst, aber wenige Minuten später zog ein Frieden in meine Seele, wie zuvor noch nie erlebt. Ich will damit sagen, dass ich durch diese kleine Abendmahl-Zeremonie, nur zwischen Gott und Jesus Christus und mir, mehr Frieden und Segen und Sündenvergebung empfand als in den gesamten jahrzehntelangen Abendmahl-Zeremonien der NAK zusammen! Meine Frau bekam von alledem nichts mit, sie schlief bereits tief und fest. Um ca. 1:00 Uhr nachts schlief ich dann selig und friedlich ein. Dieses Erlebnis, diese epochale Erfahrung der Freisprache, dass der Jesus und Gott uns die Sünden GERNE vergibt, wenn wir sie vor IHM bekennen, das war völlig neu für mich und ein Meilenstein in meiner weiteren Glaubensentwicklung. Ich habe diese kleine Feier in meinem „stillen Kämmerlein“ beibehalten und bin bis jetzt damit bestens gefahren, und das ist auch eine wunderbare Ergänzung zur „richtigen“ Abendmahlfeier in der Ortsgemeinde, als Gedächtnismahl zum Gedenken an das Leiden und Sterben von Jesus Christus am Kreuz. Auf jeden Fall bleibt zu diesem Zeitpunkt festzuhalten, dass ich das völlig neue Abendmahlverständnis nun verinnerlicht hatte!

Danach erlebte ich eine durchaus schlimme Zeit. Satan griff mich „frontal“ an und stürzte mich in eine Zeit der „geistigen Dürre“. Das bedeutete, dass ich beim Beten das beinahe „körperliche“ Gefühl hatte, dass meine Gebete „an der Zimmerdecke kleben bleiben“. Mein „Gott-Gefühl“ war komplett nicht mehr vorhanden. Alles, was ich bisher so positiv erlebt hatte und auch erlernt hatte, war plötzlich weg. In meiner Seele machte sich eine absolute Leere breit. Ich kann das kaum beschreiben, es war fürchterlich, die Hölle! Karfreitag und Ostern 2008 bekam ich zu diesem Gefühl der absoluten Finsternis noch eine schwere Bronchitis, begleitet von starkem Sekret–Husten. Tiefe Verzweiflung machte sich in mir breit! Als sich dann die Bronchitis allmählich verzog, weil ich mir beim Arzt Antibiotikum besorgt hatte, erinnerte ich mich langsam an einen ganz bestimmten Tag im Buch von Rick Warren „40 Tage – Leben mit Vision“, wo es um dieses Thema der „geistigen Dürre“ ging. Ich studierte diesen Tag noch mal ganz intensiv und lernte nun in der Folgezeit, mit der neuen Situation besser umzugehen. Und wirklich, es sollte helfen. Alsbald waren alle finsteren Gedanken schnell verflogen und die Gnade Gottes für mich wieder erfahr- und spürbar zugleich. Alles war wieder gut! Liebe Leser: Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war!

Immer noch war ich jedoch der Ansicht, dass mein Leben mit Gott und Jesus ganz allein voll in Ordnung war. Ich „schnallte“ zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es nicht gottgewollt war, dass man seinen Glaubensweg ganz alleine geht. Ich selbst bezeichnete mich als „gläubigen und treuen Christen mit eremitischen Zügen.“ Auf Deutsch gesagt: Ich bekam einerseits meinen Allerwertesten nicht hoch, um etwas in Sachen Gemeindefindung zu unternehmen, und andererseits war ich ja im Hinterkopf immer noch vom „Bodenpersonal“ Gottes so enttäuscht, obwohl ich nur das „NAK-Personal“ kannte…

Kirche - in welcher Form auch immer - ? Nein – Danke! … So war immer noch meine Herzenseinstellung!

Aber auch hier hatte der HERR seinen Weg schon parat: Aus einem anderen Aussteiger-Forum, in dem sich alle möglichen Sektenaussteiger treffen, lernte ich eine liebe gläubige Frau aus meiner ehemaligen Heimatstadt Berlin online kennen. Sie hatte einen schönen Glauben, jedoch immer wieder große Zweifel an Gott und besonders an Jesus Christus. Wir begannen einen intensiven Mailverkehr. Wir beide bemerkten dabei überhaupt nicht, dass wir dabei als Werkzeuge Gottes gebraucht wurden. Sie in dem Sinne, dass sie mir immer wieder zu verstehen gab, dass ich doch mal meinen „Hintern“ bewegen und Neues ausprobieren solle, d.h. mal die eine oder andere Kirche zu besuchen. Und meine Wenigkeit in dem Sinne, dass ich ihr immer wieder Mut machte, nicht aufzuhören zu glauben und die Zweifel zu besiegen und nicht in die Agnostiker-Richtung abzudriften. Lange habe ich mich dagegen gewehrt, auf ihren Rat zu hören, aber dann war es schließlich doch soweit: Ich beschloss, einen Gottesdienst einer Evangelisch freikirchlichen Gemeinde (EfG–Baptisten- und Brüder-Gemeinden) zu besuchen. Und da diese Gemeinde sich bei mir quasi um die Ecke, nur ca. 300 Meter weit entfernt, befand, dachte ich so bei mir: „Na gut, kannst Du ja mal probieren… wenn es Dir nicht gefällt, bist Du ja schnell wieder zu Hause!“.

Je näher nun der Sonntag heran rückte, desto zappeliger wurde ich. Eines war mir aber dennoch in meinen Überlegungen äußerst wichtig: Wenn dort irgendein Mensch als „Guru“ verherrlicht würde und Gott und Jesus nicht im Mittelpunkt stehen und die Bibel verfremdet wird, dann bin ich schneller weg, als ich gekommen bin. Meine Gedanken und Befürchtungen waren völlig überflüssig, denn es kam gänzlich anders. Als ich nun am Sonntag, dem 30. März 2008, zum ersten Mal die Schwelle dieses Gebäudes betrat, wurde ich von strahlenden Gesichtern freundlich empfangen und begrüßt. Dann fing der Gottesdienst an. In meinem Herzen war eine Mischung aus Angst und Neugier und Erwartung, was nun alles auf mich einströmen würde. Nun begann der Gottesdienst. Ich wunderte mich, dass keiner der Geschwister ein Gesangbuch in der Hand hielt, wie ich es gewohnt war. Alsbald sollte sich das kleine Geheimnis lüften: Die Liedtexte wurden von einem Beamer an eine Leinwand projiziert. Obwohl ich nun die Lieder gar nicht kannte und auch schon jahrzehntelang keinen „Pieps“ in Sachen Kirchenlied „herausgequetscht“ hatte, wunderte ich mich schon ein wenig darüber, das alles sofort wieder da war: Das Liedgefühl, das Gefühl für die Musik und die eigene Überraschung darüber, dass ich sofort mitsingen konnte. Die Stimme war da, es war verblüffend. Natürlich hielt ich mich noch dezent zurück und sang einfach die Texte um einen Sekundenbruchteil nach, aber das fiel zum Glück kaum auf. Durch dieses Erleben wurde mein Herz richtig aufgemacht für das Neue, was ich an diesem Tage erleben sollte. Dann begann die Predigt, die ich „richtig gut“ fand. Nachdem noch einige Lieder gesungen worden waren, kam dann der Punkt, der für mich nun völlig fremd und einzigartig war: „Anbetungszeit“ - für mich ein völlig neuer Begriff. Geschwister begannen, laut in die Gemeinde hinein zu beten. Ich war so berührt, dass ich gleich beim ersten Mal dazu „getrieben“ wurde, Gott zu danken, dass ich hier eine Gemeinde gefunden zu haben schien, in der Gott allein die Ehre gegeben wurde und keine Menschen verherrlicht wurden. Danach wurden erneut Lieder gesungen. Nach dem Gottesdienst fragten mich viele Geschwister, wo ich denn her käme, was für einen Hintergrund ich hätte und was ich so mache… Ich empfand diese Fragen nicht als lästig, sondern als aufrichtiges und ehrliches Interesse. Nach diesem angenehmen Erleben war ich den restlichen Sonntag so selig, friedlich und fröhlich, wie noch nie in meinem Leben zuvor. Dieser Zustand hielt bis tief in den folgenden Tag an. Eine solch anhaltende Seligkeit hatte ich bisher wirklich noch nicht erlebt. Ich empfand es auch als richtig schön, dass die Geschwister einen Raum zur Verfügung hatten, in dem sie sich nach dem Gottesdienst bei Kaffee und Kuchen noch unterhalten konnten; dies kannte ich von der NAK so auch nicht, weil die Geschwister dort oft schnell auseinander gerannt waren, wenn sie nicht gerade zu einer Clique gehörten. Jedenfalls war das alles mehr als angenehm und es brachte mich noch näher zu Gott. In erster Linie hatte ich es meiner lieben Online-Bekanntschaft aus Berlin zu verdanken, dass ich diesen Schritt unternommen hatte, und natürlich auch meinem Online Freund aus dem „Quo Vadis NAK?“-Forum, der mit mir umfangreiche Seelenarbeit (...das Buch von R. Warren...) geleistet hatte. Ihm gebührt auch ewig Dank dafür! Er hatte an diesem Tage seine Taufe in seiner Gemeinde; er, der seine NAK-Vergangenheit nun endgültig selbst „beerdigen“ konnte. Deshalb werde ich dieses Datum auch niemals mehr vergessen!

In der Folgezeit besuchte ich nun regelmäßig die Gottesdienste der EfG und das mit wachsender Begeisterung. Auch entwickelte sich, ohne irgendeinen äußeren Impuls (!), ein Verlangen, in der Bibel zu lesen. Zunächst gefiel mir die bildhafte Sprache des Buches über die Offenbarung des Johannes am besten, und zwar auch deshalb, weil hierin genau beschrieben wird, was sich zukünftig alles im Heils -und Erlösungsplan Gottes ereignen wird.

Am 24. Mai 2008 besuchte ich dann das erste Mal einen Hauskreis (Bibelkreis) meiner Gemeinde, Sofort wurde ich von den Geschwistern in diesem kleineren Kreis herzlich aufgenommen und akzeptiert. Auch dort fühlte ich mich von Anfang an „pudelwohl“! Diese Hauskreisabende, in denen man ein bestimmtes Kapitel der Heiligen Schrift beleuchtet, sind eine wunderbare und glaubensstärkende Ergänzung zum sonntäglichen Gottesdienst.

Nachdem ich nun die folgenden Gottesdienste regelrecht „aufsog“, wuchs in mir das starke Bedürfnis, alles "fest" in Jesus Christus zu machen. Der Hintergedanke, der mich dazu trieb, lag einerseits darin, dass ich die Liebe und Gnade Gottes noch nie so warm und nah verspürt hatte, auch unter den Geschwistern, und andererseits darin, dass ich mein bisheriges Leben als eine Ansammlung von Beliebigkeiten empfand, natürlich mit Ausnahme der Heirat mit meiner lieben Frau. Diese Gnadensonne so nah und warm spüren zu dürfen, das war wie ein großes Geschenk Gottes, denn ich musste nun nicht mehr mühsam versuchen, durch die „Panzerwand“ aus Amtsträgern einen Strahl des Heiligen Geistes zu „erhaschen“. Der Heilige Geist weht, wo er will… und nicht dort, wo Menschen meinen, ihn ausgrenzen zu müssen, weil es in ihr momentanes Glaubensgebäude oder in ihre Lehre gerade nicht hinein passt. Das wurde für mich zusehends deutlicher. Aus diesen Gedanken heraus erwuchs nun auch immer stärker der Wunsch, sich in der neuen Gemeinde taufen zu lassen.

Eine Woche, nachdem ich diese Gedanken zum ersten Male im Herzen bewegte, musste ich gleichzeitig auch erleben, dass meine mittlerweile „lieb“ gewonnene Online-Bekanntschaft aus Berlin meine sehr ausführlichen Mails plötzlich nicht mehr lesen wollte und mir stattdessen deutlich zu verstehen gab, dass sie nun zunächst ihre Ruhe haben wollte. Darüber wurde ich sehr traurig. Es war an einem Samstagabend, als ich zu Gott intensiv auf Knien betete: „Herr, Du Herr der Heerscharen, gib mir ein Wort des Trostes; Herr, Du weißt, dass ich das jetzt dringend brauche. Herr, Du weißt auch, dass ich mich nun taufen lassen möchte, ist das richtig? Was denkst Du darüber? – AMEN!“ Den letzten Satz betete ich auch vor dem Hintergrund, dass mich auch menschliche Gedanken zum Taufwunsch beschlichen, dass ich z.B. meinte, ich könne mir das als Wiedertäufer zur Sünde gereichen lassen, da ich ja bei der NAK als Säugling bereits getauft worden war. Der zweite Gedanke, der in diesem Gebet mitschwang, war der, dass es vielleicht nur ein Wechsel von der „kirchlichen Sondergemeinschaft“ der NAK zur nächsten "kirchlichen Sondergemeinschaft“ der Baptisten wäre? Ich ließ nach diesem intensiven kurzen Gebet eine gute halbe Stunde Zeit verstreichen. Dann schlug ich die Bibel auf, eine Lutherbibel (rev. Fassung 1984), indem ich mit den Daumen links und rechts hinein griff und ohne weiteres Suchen oder gar Augenschweifen fiel mein Blick sogleich auf das Wort in Tobias Kapitel 3, Vers 22, wo es heißt:

„Das weiß ich aber fürwahr: Wer Gott dient, der wird nach der Anfechtung getröstet und aus der Trübsal erlöst, und nach der Züchtigung findet er Gnade.“

...und sogleich war ich getröstet!

So habe ich erfahren, dass Gott in der Lage ist, auch durch ein sogenanntes Apokryphisches Buch, das nicht zum Kanon der Bibel gehört, zu wirken. Damit widerspreche ich keineswegs meinen Ausführungen zum vierten Buch Esra.

Ich ließ wieder einige Minuten verstreichen, nachdem ich die Bibel zugeklappt hatte. Dann griff ich erneut mit beiden Daumen in die Bibel hinein, und ohne weiteres Suchen und Augenschweifen fiel mein Blick sofort auf das Wort in der Apostelgeschichte, 2. Kapitel, Verse 37-38, wo es heißt:

„Da sie aber das hörten, ging´s ihnen durchs Herz, und sprachen zu Petrus und zu den anderen Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes.“

Ich war von der Deutlichkeit über die Antworten Gottes erschrocken und zufrieden zugleich und dankte Gott für seine beiden Antworten und ging an diesem Abend beruhigt schlafen.

Dieser Abend war eine so starke Erfahrung über die Nähe Gottes, dass ich noch tagelang darüber nachdachte und erstaunt war, besonders über die Deutlichkeit der Antworten Gottes. Ich betone ausdrücklich, dass ich zwar kleinere Glaubenserlebnisse und auch Gebetserhörungen in der NAK erlebt hatte, aber so etwas noch nie! Nun war es klar: Gottes Wille war bei mir und er sagte eindeutig, dass ich mich auf dem richtigen Weg befand. Von der Sache her war nun auch ganz deutlich, dass die Säuglingstaufe für mich keine Bedeutung mehr hatte. Immer mehr wurde mir bewusst, dass die Taufpraktiken der NAK unbiblisch sind.

Zum Glück stellte sich dann einige Zeit später heraus, dass meine „lieb“ gewonnene Online-Bekanntschaft aus Berlin nur vorübergehend einmal Ruhe und Abstand zu religiösen Themen gebraucht hatte. Wir sind bis auf den heutigen Tag noch im regen Mailverkehr miteinander im Geiste verbunden.

Am 08.06.2008 bekundete ich dann vor der Gemeinde erstmals meinen Taufwunsch und berichtete von dem Erlebten und wir beteten alle zusammen in einem sehr bewegenden Gottesdienst. Später dann lud man mich ein zu einem fünfteiligen Taufkurs. Diese fünf Abende waren auch sehr schön und geistig befruchtend und ich lernte außerdem den Baptismus näher kennen.

Bevor ich nun die Taufe näher beschreibe, möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich in erster Linie freier Christ in Jesus geworden bin und erst in zweiter Linie ein Baptist. So steht es in meinem Herzen!

Trotzdem möchte ich noch ganz kurz die Baptisten vorstellen. Die Baptisten sind die größte evangelikale Freikirche der Welt, mit weltweit ca. 100 Millionen Mitgliedern. In Deutschland gibt es etwa 88.000 Gläubige auf ca. 960 Gemeinden verteilt. Verwaltungstechnisch sind die Gemeinden in Deutschland im Bund evangelischer Freikirchen K.d.ö.R. locker zusammengefasst. Dadurch haben die einzelnen Gemeinden große Entscheidungsspielräume. Die Bezeichnung „Baptist“ ist vom griechischem >baptizein< abgeleitet, was im übertragenen Sinne so viel heißt wie: “untertauchen“ und im weitesten Sinne „taufen“. Die Baptisten sehen die Säuglingstaufe als unbiblisch an und praktizieren die Gläubigentaufe, wobei nur nach vorheriger Umkehr und Buße und durch das eigene Bekenntnis des Glaubens an Jesus Christus getauft wird. Dabei ist nicht die Taufhandlung selbst heilsentscheidend, sondern der Glaube an Jesus Christus und das Glaubensbekenntnis des Gläubigen. Für mich persönlich zeugt die Heilige Schrift im kompletten 6. Kapitel des Römerbriefes in wunderbarer Weise davon, wie diese Taufe eigentlich verstanden und vollzogen werden soll. Die Säuglingstaufe ist dagegen als unbiblisch zu bezeichnen und die Kinder werden gesegnet, so wie der Herr Jesus das vorgelebt hat.

1609 entstand die erste „taufgesinnte“ Baptistengemeinde in Amsterdam unter der Leitung von John Smyth. In England wurde um 1611 eine kleine Abspaltung dieser Gemeinde die Keimzelle der weiteren Entwicklung im Königreich unter Thomas Helwys.

Johann Gerhard Oncken gründete im Jahre 1834 die erste Baptistengemeinde in Hamburg. Nähere historische Entwicklungen und Details bitte ich, der einschlägigen Literatur oder Online-Lexika-Angeboten zu entnehmen.

Die größten Baptisten-Unionen gibt es in Nordamerika. Allein der Südwest-Baptistenbund in Amerika umfasst schon 16 Millionen Gläubige. Alle Unionen sind im Bund der Baptistischen Welt-Allianz (BWA) zusammengefasst.

Soweit der kleine Exkurs.

Am 14.12.2008 war es dann endlich soweit: Ich ließ mich mit einem anderen Mittäufling in meiner neuen Ortsgemeinde taufen und damit eingliedern in den Leib Christi. Mein Taufspruch, der mich die ganze Zeit hindurch inspirierte, weiter nach der Wahrheit Gottes zu forschen, entstammt dem Timotheusbrief (1.2.5), wo es heißt:

"Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus.“

Ich weiß nur noch, dass ich am Tag der Taufe sehr aufgeregt war, sogar so sehr, dass ich kaum etwas mitbekam, aber bei meinem Taufspruch war ich dann wieder hellwach und die ganze Aufregung im Herzen konnte nun die tiefen Empfindungen der Seele nicht mehr unterdrücken. Ein Herrschaftswechsel in meiner Seele hatte also stattgefunden.

Nun ist Jesus mein Herzenskönig, und keiner sonst…! Ich möchte ein Jünger Jesu sein und nach seinen Wegen und Weisungen meinen Weg gehen, dem Glaubensziel entgegen, wenn der Herr Jesus die Seinen zu sich holt!